AW: Ukrainischer Kampfjet soll auf MH17 zugeflogen sein
MH17-Schuldfrage wird mit Schweigen beantwortet
Stimmenrekorder-Aufnahmen bleiben unter Verschluss, Ermittler waren nie am Absturzort: Wird das MH17-Drama jemals aufgeklärt? Mittlerweile verurteilt Putins Außenminister die Verschleierungsversuche.
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Reporter
Die MH17-Absturzstelle in der Ostukraine auf einem Satellitenbild von DigitalGlobe Foto: REUTERS
Als am 23. Juli
die Straßen Eindhovens säumten und die Leichenwagen mit den ersten Opfern des Absturzes von Flug MH17 an ihnen vorbeifuhren, da war nicht nur die Trauer unendlich groß, sondern auch der Wunsch nach Aufklärung und
. Man wolle wissen, wer verantwortlich für diese Katastrophe ist, sagten die Menschen. Und forderten, dass die Verantwortlichen hart bestraft werden. Mit den Mutmaßungen, russische Separatisten hätten das Flugzeug von Malaysia Airlines über der Ostukraine abgeschossen, wollten sich die Niederländer nicht zufriedengeben.
Mehr als Mutmaßungen gibt es aber auch eineinhalb Monate nach dem Crash mit 298 Toten nicht – und daran wird sich aller Voraussicht nach auch nichts ändern, wenn das mit den Untersuchungen zur Absturzursache betraute Dutch Safety Board am kommenden Dienstag erste Ermittlungsergebnisse präsentiert. Dann soll ein Zwischenbericht veröffentlicht werden, der aber nach Aussage der Ermittler keine Erkenntnisse zur Schuldfrage beinhaltet.
"Unsere Aufgabe ist es herauszufinden, was passiert ist, und nicht, jemanden zu beschuldigen. Wir wollen Lehren für die Zukunft ziehen", sagte Sara Vernooij vom Dutch Safety Board der "Welt". Sie kündigte an, dass innerhalb eines Jahres ein weiterer, endgültiger Bericht zum Absturz von MH17 veröffentlicht wird, allerdings ebenfalls ohne Hinweise auf den oder die Schuldigen für die Katastrophe.
Immer neue Verschwörungstheorien
Klar ist mittlerweile auch, dass die Aufnahmen des Stimmenrekorders, der die Gespräche im Cockpit des Flugzeugs aufzeichnete, nicht veröffentlicht werden. Nicht nur diese Entscheidung sorgt dafür, dass weltweit Spekulationen ins Kraut schießen, sondern auch die Tatsache, dass die Ermittler des Durch Safety Board den Absturzort im von ukrainischen Regierungstruppen und russischen Separatisten umkämpften Gebiet nie selbst besucht haben.
Das hat die Kommission in der vergangenen Woche selbst zugegeben und verwies auf die angespannte Sicherheitslage in der Ostukraine. "Wir wollen gehen, wenn es sicher ist", sagte Vernooij vom Dutch Safety Board der "Welt".
Viele Russlandfreunde haben ihr Urteil längst gefällt, sie sind überzeugt, dass nicht russische Separatisten oder gar die Regierung in Moskau hinter dem Abschuss steckt, sondern die Ukraine. Deren Präsident Petro Poroschenko hatte nur wenige Stunden nach dem Absturz von MH17 am 17. Juli behauptet, es gebe "unwiderlegbare Indizien" dafür, dass russische Kräfte verantwortlich seien. US-Außenminister John Kerry äußerte sich ähnlich, er führte "Bilder vom Raketenabschuss" als Beleg an. Wenig später stellte der US-amerikanische Geheimdienst CIA allerdings klar, dass es bislang keine Beweise gebe.
Seitdem werden im Internet immer neue Verschwörungstheorien verbreitet. Die populärste ist, dass MH17 nicht von Separatisten per Boden-Luft-Rakete vom Himmel geholt wurde, sondern von einem ukrainischen Kampfjet, der das Cockpit des Flugzeugs mit Maschinengewehren beschossen haben soll. Als Beweis werden Fotos des Wracks angeführt, auf denen kleine Einschusslöcher zu sehen sind. Dass diese auch von den Splittern einer Rakete stammen könnten, wird verschwiegen.
Immer wieder führen Verschwörungstheoretiker auch die Aussagen von Michael Bociurkiw an, der für die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) arbeitet und als einer der ersten Helfer an der Absturzstelle war. In einem Interview hatte er gesagt, die Wrackteile hätten so ausgeschaut, als seien sie von Maschinengewehren durchsiebt worden. Raketenteile habe er nicht gesehen. Für viele ist das der endgültige Beweis für die Schuld der Ukraine. Bociurkiw selbst sagte allerdings der "Welt": "Ich habe nur meinen persönlichen Eindruck wiedergegeben. Ob er richtig ist, weiß ich nicht. Ich bin kein Experte für so etwas."
Die ermittelnde Staatsanwaltschaft schweigt
Nach wochenlanger Zurückhaltung ist die russische Regierung ebenfalls in die Offensive gegangen. Außenminister Sergei Lawrow sprach von "Verschleierungsversuchen", der Botschafter bei den Vereinten Nationen rief dazu auf, die Spekulationen zu beenden, und das Verteidigungsministerium gab an, auf Radarbildern einen ukrainischen Kampfjet in der Nähe von MH17 gesichtet zu haben.
Zu all dem sagt das Dutch Safety Board nichts. Mitarbeiterin Vernooij verwies auf die niederländische Staatsanwaltschaft, die die strafrechtlichen Ermittlungen leitet. Die Staatsanwaltschaft wollte sich auch auf mehrfache Nachfrage nicht zum Stand der Ermittlungen äußern.
Dass alle Erkenntnisse in den Niederlanden zusammenlaufen, liegt daran, dass das Land mit 193 Toten die meisten Opfer des MH17-Absturzes zu beklagen hatte. Zwischenzeitlich an den Ermittlungen beteiligt waren aber auch zwei deutsche Mitarbeiter der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) in Braunschweig. Auch über ihre Erkenntnisse schweigen sich alle Beteiligten aus.
Ein deutscher Insider sagte der "Welt": "Bis der Absturz von MH17 rückhaltlos und nach Ansicht aller Beteiligten angemessen aufgeklärt ist, wird es noch lange dauern – wenn es überhaupt je passiert."
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