Derzeit scheinen die Hintermänner der Redtube-Abmahnungen fluchtartig unterzutauchen. Nun ist auch der Grund dafür klar: Zumindest in einigen Fällen lässt sich offenbar beweisen, dass die IP-Adressen der angeblichen Urheberrechtsverletzer illegal ermittelt wurden.
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Nicht existente Firma verkauft offenbar nicht existente Verwertungsrechte
Bereits seit einigen Wochen besteht der Verdacht, dass die Rechtekette bei den angemahnten Redtube-Videos löchrig sein könnte. So wie sich die Lage
derzeit darstellt, hat die spanische Firma Serrato Consultores niemals die Rechte an den vier Porno-Filmchen besessen und konnte sie demnach auch nicht weiterverkaufen.
Auch der nächste Schritt in der Rechtekette ist extrem mysteriös: Die Firma Hausner Productions, die von Serrato Consultores die Filmrechte erworben haben will und diese dann an The Archive weiterverkaufte, scheint nicht zu existieren. An der Berliner Adresse, die auf Verträgen angegeben ist, befindet sich lediglich ein Graffitti-verziertes Mehrfamilien-Wohnhaus und auch das Ordnungsamt der Hauptstadt hat keinerlei Daten darüber, dass Hausner Productions jemals existiert haben könnte.
Doch selbst wenn man, trotz aller angebrachten Zweifel, davon ausgehen sollte, das The Archive tatsächlich auf rechtlich einwandfreiem Wege real existierende Verwertungsrechte zu den Videoclips erworben haben sollte, hat das Unternehmen vermutlich mehrfach gegen geltende Gesetze verstoßen.
Erster potentieller Rechtsbruch: Schweizer Bundesgericht untersagt Ermittlung der IP-Adressen
Das Schweizer Bundesgericht hat in einem Urteil vom 8. September 2010 (1C 285/2009) festgestellt, dass das Recht auf Privatsphäre schwerer wiegt als Urheberrechtsverletzungen. Auch in diesem Fall ging es um eine Software, die für Rechteinhaber die IP-Adressen von angeblichen Urheberrechtsverletzern ermittelt und gespeichert hat. Diese Praxis hielt der Eidgenössische Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte (EDÖB) für unrechtmäßig, da es nicht um Straf- sondern lediglich um Zivilrechtsverfahren gehe. Das Bundesgericht folgte letztinstanzlich dieser Argumentation und verneinte das Recht auf Erfassung von IP-Adressen, wenn es lediglich um Abmahnungen geht.
Wie bereits mehrfach
dargelegt, besteht zwischen The Archive und der Firma, die die IP-Adresse ermittelt hat, nämlich itGuards Inc., eine enge Verbindung: Die Homepages beider Unternehmen lagen bis zu ihrer plötzlichen Löschung auf demselben Webserver und wurden von ein und demselben Administrator-Account beim Hoster Wix.com betreut. Es gibt also offenbar personelle Überscheidungen bei itGuards und The Archive. Diese Verstrickungen legen den Verdacht nahe, dass beide Firmen dieselben Hintermänner haben könnten. Und in diesem Fall hätte sich The Archive als Schweizer Unternehmen durch die Erfassung der IP-Adressen strafbar gemacht.
Zweiter potentieller Rechtsbruch: Abmahnungen mit Gewinnerzielungsabsicht
Abmahnungen sind im deutschen Recht unter anderem in Paragraph 8 des Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) geregelt. Dort wird Rechteinhabern einerseits der Anspruch auf Abmahnungen und das Einfordern von Unterlassungserklärungen zugestanden. Andererseits werden diese Rechte allerdings in Absatz IV auch deutlich eingeschränkt: "Die Geltendmachung der in Absatz 1 bezeichneten Ansprüche ist unzulässig, wenn sie unter Berücksichtigung der gesamten Umstände missbräuchlich ist, insbesondere wenn sie vorwiegend dazu dient, gegen den Zuwiderhandelnden einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen oder Kosten der Rechtsverfolgung entstehen zu lassen."
Mit dieser Einschränkung soll verhindert werden, dass Abmahnungen mit Gewinnerzielungsabsicht verschickt werden. Unter anderem das Oberlandesgericht Hamm (Aktenzeichen 4 U 23/09) und das Landgericht Berlin (Aktenzeichen 96 O 60/09) haben mit ihren Urteilen untermauert, dass Abmahnungen nur dann zulässig sind, wenn ihr Zweck der Schutz der eigenen (Verwertungs-)Rechte ist.
Im Fall Redtube ist es nun allerdings so, dass The Archive unmittelbar nach Erwerb der Rechte begonnen hat, Abmahnungen zu verschicken. Eine eigene Nutzung der Verwertungsrechte (abseits der Abmahnungen) hat bislang nicht stattgefunden und ist auch derzeit nicht absehbar. Es besteht daher der Verdacht, dass The Archive die Rechte ausschließlich zum Zwecke des Abmahnens erworben haben könnte. Dieses Vorgehen wäre jedoch nach geltender deutscher Rechtsausauslegung unzulässig.
Dritter potentieller Rechtsbruch: IP-Ermittlung vor Rechte-Erwerb
Den dritten potentiellen und zugleich eindeutigsten Rechtsbruch hat The Archive sogar selbst dokumentiert. Laut den Unterlagen, die beim Landgericht Köln eingereicht wurden, hat Philipp Wiik, damals noch "Direktor mit Einzelunterschrift" bei The Archive, den Vertrag über den Rechte-Erwerb von Hausner Productions am 23.07.2013 unterschrieben. Dem Blogger und Sicherheitsexperten Klemens Kowalski liegt jedoch der Scan eines Abmahn-Schreibens
vor, in dem The Archive dem Nutzer vorwirft, den Film "Hot Stories" bereits am 22.07.2013 unrechtmäßig angesehen zu haben.
Die bei Gericht eingereichten Unterlagen, die The Archive selbst erstellt hat, belegen also, dass The Archive schon IP-Adressen ermittelte oder ermitteln ließ, bevor die Firma überhaupt die Rechte an den vier Porno-Filmchen besaß! Eine solche Erhebung von personenbezogenen Daten ist laut § 15 Telemediengesetz schlicht und ergreifend nicht zulässig.
CHIP Online meint:
Das Redtube-Abmahnkonstrukt fällt langsam aber sicher völlig in sich zusammen. Im Extremfall, also wenn alle zuvor angestellten Vermutungen stimmen sollten, hat eine Schweizer Firma von einer nicht existenten deutschen Firma nicht existente Rechte erworben, die anschließend mit illegaler Gewinnerzielungsabsicht zum Versand von Abmahnungen eingesetzt wurden. Die dafür benötigten IP-Adressen wurden von einer
nicht existenten Software auf illegalem Wege ermittelt und als klar wurde, dass die Abmahnwelle nicht ohne Widerstand über die Bühne gehen wurde,
sind die Hintermänner untergetaucht. Aber falls sich alles tatsächlich so abgespielt haben sollte, ist das letzte Urteil in Sachen Redtube-Abmahnungen wohl noch lange nicht gesprochen.