Was bedeutet der Maut-Kompromiss?
Jetzt kommt sie also doch: Verkehrsminister Dobrindt hat sich mit Brüssel auf ein Modell für eine Pkw-Maut verständigt. Die CSU ist erleichtert, Kritiker sprechen von einem "faulen Kompromiss". Die wichtigsten Antworten zu der Einigung.
Für Alexander Dobrindt ist der Kompromiss ein Erfolg. Warum?
Die Pkw-Maut galt vielen schon als tot. Nachdem der Bundestag nach langen Diskussionen das Gesetz 2015 verabschiedet hatte, leitete die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland ein. Wegen der darin enthaltenen Diskriminierung von EU-Ausländern sei das Vorhaben nicht europarechtskonform, so die Argumentation der Brüsseler Behörde. Die Kommission behielt sich eine Klage vor, wollte aber darauf verzichten, wenn es signifikante Änderungen an dem Gesetz gebe. Diese sind in Verhandlungen mit Brüssel jetzt erreicht worden.
In welchen Punkten musste Dobrindt Brüssel entgegenkommen?
Auf Drängen der EU-Kommission sollen deutsche Autofahrer mit besonders sauberen Euro-6-Wagen steuerlich stärker entlastet werden als andere. Das kostet den Fiskus rund 100 Millionen Euro. Der Grund: Die EU-Kommission hatte bemängelt, dass deutsche Autofahrer eins zu eins über die KfZ-Steuer entlastet werden sollen. Dieser Vorwurf ist durch die unterschiedliche Behandlung je nach Abgasnorm entkräftet. Maut und Steuersenkung sind nun voneinander entkoppelt. Zudem setzte Brüssel durch, dass es für Ausländer eine größere Anzahl an Kurzzeitmauttarifen geben soll. Wer nicht gleich für ein ganzes Jahr bezahlen will, hat die Wahl zwischen einem Modell für zehn Tage oder für zwei Monate. Je nach Motorgröße und Schadstoffausstoß gibt es jetzt fünf statt wie bisher vorgesehen drei Stufen.
Was bedeutet der Kompromiss für ausländische Autofahrer konkret?
Wer viel in Deutschland unterwegs ist, muss eine Maut von im Schnitt 74, maximal 130 Euro bezahlen. Der billigste Zehn-Tages-Tarif kostet 2,50 Euro, es wird dann je nach Fahrzeug teurer: 4, 8, 14 oder 20 Euro. Analog die Zwei-Monats-Maut: Sie kostet 7, 11, 18, 30 oder 40 Euro. Die Bundesregierung hat sich gegen ein Vignettensystem entschieden, wie es etwa in der Schweiz oder in Österreich angewendet wird. Stattdessen wird beim Bezahlen der Maut das Kennzeichen gespeichert. In Stichproben sollen ausländische Autos auf deutschen Straßen elektronisch darauf kontrolliert werden, ob gezahlt wurde oder nicht. Die Daten sollen ausschließlich für diesen Zweck erfasst und schnell wieder gelöscht werden. Wer als Mautsünder enttarnt wurde, muss eine Geldbuße zahlen. Sie soll auch im Ausland eingetrieben werden.
Wo, ab wann und für wen gilt die Maut in Zukunft?
Die Maut, die ja bereits für Lkw erhoben wird, soll auf mehr Straßen gelten als bisher. Zu dem knapp 13.000 Kilometer langen Autobahnnetz kommen nun 39.000 Kilometer Bundesstraße hinzu. Ausländer dürfen Bundesstraßen jedoch kostenlos nutzen. Grundsätzlich gilt die Maut für alle Nutzer dieser Verkehrswege, also auch Deutsche. Ausgenommen sind Motorräder, E-Autos, Wagen von Behinderten und Krankenwagen. Mautfrei sind auch Kleintransporter zwischen 3,5 und 7,5 Tonnen und Busse unterwegs. Unklar ist noch, wann es losgeht. Denn zunächst muss eine Reihe von Gesetzen geändert werden. Vor der Bundestagswahl im Herbst 2017 wird das nichts mehr.
Was kommt auf deutsche Autofahrer zu?
Deutsche sollen, so das häufig wiederholte Versprechen Dobrindts, künftig keinen Euro für die Maut bezahlen. Durch die von Brüssel erzwungene Änderung gilt sogar: Wer einen besonders sauberen Wagen fährt, wird sogar entlastet. Wer zwar ein Auto besitzt, jedoch nie auf den kostenpflichtigen Bundesstraßen und Autobahnen unterwegs ist, soll eine Rückzahlung durchsetzen können. Vermutlich müssen Autofahrer dies über ein Fahrtenbuch nachweisen.
Was hat der Staat davon?
Dobrindt argumentiert, auch mit den Änderungen spüle die Maut jährliche Mehreinnahmen von 500 Millionen Euro in die Kassen. Das Geld soll in die Verkehrsinfrastruktur investiert werden.
Wie sind die Reaktionen?
Viele Politiker bezweifeln die Höhe der Einnahmen. Der SPD-Verkehrspolitiker Martin Burkert glaubt: "Es konnte auch ein Nullsummenspiel werden." Ein großer Wurf sei der Kompromiss jedenfalls nicht: Dobrindt sei "ins Ziel gestolpert, ob es dabei Verletzungen gab, wird sich noch herausstellen", sagte Burkert dem Bayerischen Rundfunk.
Michael Cramer, Grünen-Verkehrspolitiker im EU-Parlament, kritisiert: Die EU-Kommission habe eine 1:1-Kompensation deutscher Autofahrer abgelehnt, finde "irrsinnigerweise jedoch nichts dabei, wenn deutsche Fahrer jetzt durch Steuersenkungen sogar überkompensiert werden sollen". Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter spricht bei n-tv von einem "neuen Level des Unsinns".
Die Linkspartei spricht von einem "ausländerfeindlich motivierten CSU-Projekt". Dobrindt zwinge dem Land ein "Bürokratiemonster" auf, sagte der Linken-Abgeordnete Jan Korte.
Der CDU war es im Vorfeld wichtig, dass die Maut nichts zusätzlich kostet. Da das mutmaßlich gegeben ist, hält sich die Schwesterpartei mit Kommentaren weitgehen zurück. Klar ist aber eigentlich allen: So richtig begeistert ist bei der CDU niemand.
In der CSU ist man erleichtert: "Es hat von beiden Seiten Bewegung bedurft, aber jetzt liegt eine europarechtskonforme Lösung vor", sagt Europapolitiker Manfred Weber.
Und was denken Deutschlands Nachbarn?
Für die ist der Kompromiss keine gute Nachricht. Die Niederlande wollen gegen die Maut vor dem EuGH klagen. Einen ebensolchen Schritt behält sich Österreich vor. Verkehrsminister Jörg Leichtfried sprach von einem "faulen Kompromiss". Die Diskriminierung von Ausländern durch das Gesetz bestehe fort, sie sei nun nur "ein bisschen mehr verschleiert". Ob der Maut-Kompromiss einer Klage standhalten würde, ist offen.
Quelle: n-tv