Der letzte sichere Ort Syriens
31.08.2013 | 10:34 Uhr
Hafenstadt Tartus
In einer syrischen Hafenstadt gelingt, was sonst im Land unmöglich erscheint: Sunniten und Alawiten leben friedlich nebeneinander. Familien leben Tür an Tür, während ihre Söhne sich bekriegen.
In Tartus ist der Krieg weit weg. Die Strände der syrischen Küstenstadt sind gut besucht, genau wie die Cafés und Restaurants. Das bunte Treiben dauert oft bis in die Nacht. Während sich im Rest des Landes Anhänger und Gegner von Präsident Baschar al-Assad blutige Gefechte liefern, leben hier die Angehörigen der verschiedenen Religionsgruppen friedlich nebeneinander.
Die Hafenstadt am Mittelmeer wird dominiert von der Minderheit der Alawiten, die fest hinter dem Regime steht. Doch Hunderttausende Menschen sind inzwischen nach Tartus geflohen, um der Gewalt in Städten wie Homs und Aleppo zu entkommen. Viele der Flüchtlinge sind Sunniten, deren Angehörige auf der Seite der Rebellen kämpfen. Gelegentlich kommt es zu verbalen Auseinandersetzungen, aber offenbar will keine Seite den Krieg in die Stadt tragen.
Unbeeindruckt von bevorstehendem Militärschlag
"Ich glaube, wir merken alle, dass dies der letzte sichere Ort in Syrien ist", erklärt Fuad, ein sunnitischer Koch, der vor vier Monaten aus Daraja, einem Vorort von Damaskus, nach Tartus kam. Wie die meisten Bewohner will auch er aus Sicherheitsgründen nur seinen Vornamen nennen.
Von einem möglicherweise bevorstehenden Militärschlag des Westens gegen das Regime zeigen sich die Menschen in Tartus weitgehend unbeeindruckt. Einige sind für ein paar Tage in die Nachbarländer geflohen, um dort einen möglichen Angriff abzuwarten. Viele sind jedoch überzeugt, dass sowieso nur militärische Einrichtungen in der Stadt bombardiert würden. "Gleich außerhalb der Stadt liegt eine Raketenbasis, die wäre wohl zuerst dran", sagt der Student Rana. "Aber wir sind sicher, dass sie keine Zivilisten treffen werden, darum machen wir uns keine Sorgen."
700.000 Menschen sind nach Tartus geflüchtet
Bisher ist Tartus von den gewaltsamen Auseinandersetzungen weitgehend verschont geblieben, die in Syrien in den vergangenen zweieinhalb Jahren mehr als 100.000 Menschen das Leben gekostet haben. Die Stadt ist vielleicht die einzige im Land, in der es noch nie einen größeren Protest gegen Assad gab. Bewohner und Hilfsorganisationen schätzen, dass bisher rund 700.000 Menschen, hauptsächlich Alawiten und Sunniten, vor den Gefechten nach Tartus geflüchtet sind. Zuvor hatte die Stadt weniger als eine Million Einwohner. Die meisten Flüchtlinge sind Frauen und Kinder, deren Männer und Vater zurückblieben, um ihre Arbeit zu behalten oder sich der Rebellion anzuschließen.
"Man kann sagen, dass Tartus die einzige Stadt ist, die von der Krise profitiert hat", sagt ein christlicher Restaurantbesitzer, der vor zwei Jahren aus Homs kam. "Tartus wird aufgebaut auf der Asche anderer syrischer Städte. Tartus wurde lebendig, während andere Städte starben."
Krieg sickert ein
Doch der Krieg sickert auch nach Tartus ein. Hunderte Männer, Frauen und Kinder streifen durch die Straßen auf der Suche nach Arbeit, sie verkaufen Blumen und Kaugummi. Ohne Einkommen sind manche Frauen zur Prostitution gezwungen.
Die Alawiten, die 13 Prozent der 23 Millionen Einwohner Syriens stellen, leben mehrheitlich in der bergigen Küstenregion, zu der auch die Provinzen Tartus und Latakia gehören. Die Rebellen sind hauptsächlich Sunniten. Und so kommt es, dass viele Männer aus Tartus in den Reihen der Regierungssoldaten kämpfen. "Die meisten unserer Söhne kämpfen im Heer", sagt Lamia. Auch ihr Sohn und zwei Neffen gehören dazu. "Es war erst schwer zu begreifen, dass ich in einem Haus lebe mit einer Frau, deren Sohn oder Ehemann vielleicht der ist, der meinen Sohn im Kampf tötet. Wir haben gelernt, miteinander zu leben, während unsere Söhne sich bekämpfen."
Furcht vor Ende des Friedens wächst
"Solange unsere Gäste unsere politische Einstellung nicht angreifen und unser Militär und unseren Präsidenten nicht beleidigen, sind sie mehr als willkommen, mit uns zu leben und zu arbeiten", erklärt ein alawitischer Ladenbesitzer.
Noch werden weiter neue Restaurants und Geschäfte eröffnet, aber die Furcht vor einem Ende des Friedens wächst. "Wir haben Angst, dass wir eines Morgens aufwachen und der Konflikt nach Tartus gekommen ist", sagt ein alawitischer Unternehmer. "Aber bis dahin haben wir Familien zu ernähren und können nicht von unseren Ersparnissen leben. Man sucht es sich nicht aus, alles hinter sich zu lassen und neu anzufangen. Aber manchmal muss man es."
Quelle: n24.de