reini12
Boardveteran
Jeder fünfte Deutsche arbeitet für einen Niedriglohn. Die Jobcenter springen den Arbeitnehmern zur Seite. Und klagen, wenn es sein muss, auch mal vor Gericht.
Aufgestockt: Mancher Pizza-Dienst zahlt seinen Fahrern so wenig, dass die Arbeitsagentur einspringen muss
Im Kampf gegen sittenwidrige Löhne müssen Beschäftigte nicht mehr alleine vor Gericht ziehen. Diese Arbeit erledigen inzwischen immer häufiger die Arbeitsagenturen für sie: Erst jüngst war wieder das Jobcenter Uckermark vor Gericht erfolgreich. „Das offensive Vorgehen gegen Lohndumping ist ein wichtiges Signal, um ein Unrechtsbewusstsein zu schaffen“, sagte Heinrich Alt, das zuständige Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit, dieser Zeitung. Die Behörde habe den pflichtbewussten Umgang mit dem aus Steuermitteln finanzierten Arbeitslosengeld II sicherzustellen und alle Arbeitgeber zu schützen, die anständige Löhne zahlten.
Nach Berechnungen verschiedener Forschungsinstitute arbeitet mehr als jeder fünfte Deutsche im Niedriglohnsektor. Eine allgemeine Definition dafür gibt es jedoch nicht. Die Grenze ist in den meisten Untersuchungen derzeit bei rund 9 Euro festgesetzt. Das Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) kommt auf 1,4 Millionen Beschäftigte, die weniger als 5 Euro in der Stunde beziehen. Dabei sind solche niedrigen Gehälter nicht per se illegal. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist Sittenwidrigkeit immer dann gegeben, wenn ein „auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung“ vorliegt, also wenn die Entlohnung nicht einmal zwei Drittel des in der Wirtschaftsregion üblichen Branchentariflohns erreicht.
Jobcenter fordert Aufstockungsleistungen
Die Jobcenter werden auf die Billiglöhne aufmerksam, wenn die Bezieher zusätzlich Arbeitslosengeld II beantragen, um den Lebensunterhalt zu sichern. Diese Praxis ist auch als „aufstocken“ bekannt. Werden die Arbeitgeber vom Gericht verurteilt, werden sie dafür vom Jobcenter zur Kasse gebeten. Jüngstes Beispiel ist ein Urteil des Arbeitsgerichts Eberswalde, das Stundenlöhne von unter 3 Euro für Pizza-Fahrer in Brandenburg Mitte September für sittenwidrig erklärt hat (Az.: 2 Ca 428/13). Geklagt hatten nicht etwa die Fahrer, sondern das Jobcenter Uckermark. In der Klage forderte es die Aufstockungsleistungen in Höhe von rund 11 000 Euro zurück, mit denen es den kargen Lohn auf Hartz-IV-Niveau hob. Empfänger des Arbeitslosengeldes II bekommen derzeit 382 Euro monatlich plus Wohngeld und Heizkosten. Arbeitnehmer, die einen Lohn unterhalb dieser Grenze erhalten, können einen Zuschuss vom Staat beantragen.
Der Pizza-Service beschäftigte Arbeitnehmer, die bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 14 Stunden 100 bis 165 Euro brutto verdienten, wie der juristische Fachverlag Beck-online berichtet. Außerdem seien dort Vollzeitkräfte tätig gewesen, die bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden 430 Euro brutto erhalten hätten. Der Betreiber des Pizza-Service zahlte ihnen demnach Stundenlöhne von 1,59 Euro, 1,65 Euro und 2,72 Euro. Für acht dieser Arbeitnehmer hatte das Jobcenter Aufstockungsleistungen gewährt. Die Löhne lagen um mehr als die Hälfte unter dem ortsüblichen Entgelt für vergleichbare Tätigkeiten und waren damit klar sittenwidrig.
„Sittenwidrige Löhne sind kein Massenphänomen“
Solche Fälle geben der Forderung nach flächendeckenden Mindestlöhnen Nahrung, wie sie etwa die SPD fordert. Auch im Bundestagswahlkampf spielte die Debatte um faire Löhne eine wichtige Rolle. Genaue Zahlen über das Ausmaß gibt es jedoch nicht. „Sittenwidrige Löhne sind kein Massenphänomen“, stellt Heinrich Alt von der Arbeitsagentur klar. „Wir sprechen über Einzelfälle.“ Vor allem in Ostdeutschland träten diese auf.
Nicht zufällig ging deshalb auch das Jobcenter Stralsund als Erstes vor drei Jahren diesen ungewöhnlichen Weg, als es erfolgreich Aufstockungsleistungen in Höhe von 6000 Euro für sittenwidrige Löhne einklagte. Auch damals ging es um einen Pizza-Service, der seinen Mitarbeitern 1,32 Euro gezahlt hatte. Die Arbeitsagentur ist inzwischen auf den Zug aufgesprungen: In einem „Leitfaden Lohnwucher“ erläutert sie ihren regionalen Vertretungen, wie sie gegen sittenwidrige Löhne vorgehen müssen. Auch ein Muster für eine „Restlohnklage“ stellt sie zur Verfügung.
Quelle: FAZ
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Aufgestockt: Mancher Pizza-Dienst zahlt seinen Fahrern so wenig, dass die Arbeitsagentur einspringen muss
Im Kampf gegen sittenwidrige Löhne müssen Beschäftigte nicht mehr alleine vor Gericht ziehen. Diese Arbeit erledigen inzwischen immer häufiger die Arbeitsagenturen für sie: Erst jüngst war wieder das Jobcenter Uckermark vor Gericht erfolgreich. „Das offensive Vorgehen gegen Lohndumping ist ein wichtiges Signal, um ein Unrechtsbewusstsein zu schaffen“, sagte Heinrich Alt, das zuständige Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit, dieser Zeitung. Die Behörde habe den pflichtbewussten Umgang mit dem aus Steuermitteln finanzierten Arbeitslosengeld II sicherzustellen und alle Arbeitgeber zu schützen, die anständige Löhne zahlten.
Nach Berechnungen verschiedener Forschungsinstitute arbeitet mehr als jeder fünfte Deutsche im Niedriglohnsektor. Eine allgemeine Definition dafür gibt es jedoch nicht. Die Grenze ist in den meisten Untersuchungen derzeit bei rund 9 Euro festgesetzt. Das Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) kommt auf 1,4 Millionen Beschäftigte, die weniger als 5 Euro in der Stunde beziehen. Dabei sind solche niedrigen Gehälter nicht per se illegal. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist Sittenwidrigkeit immer dann gegeben, wenn ein „auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung“ vorliegt, also wenn die Entlohnung nicht einmal zwei Drittel des in der Wirtschaftsregion üblichen Branchentariflohns erreicht.
Jobcenter fordert Aufstockungsleistungen
Die Jobcenter werden auf die Billiglöhne aufmerksam, wenn die Bezieher zusätzlich Arbeitslosengeld II beantragen, um den Lebensunterhalt zu sichern. Diese Praxis ist auch als „aufstocken“ bekannt. Werden die Arbeitgeber vom Gericht verurteilt, werden sie dafür vom Jobcenter zur Kasse gebeten. Jüngstes Beispiel ist ein Urteil des Arbeitsgerichts Eberswalde, das Stundenlöhne von unter 3 Euro für Pizza-Fahrer in Brandenburg Mitte September für sittenwidrig erklärt hat (Az.: 2 Ca 428/13). Geklagt hatten nicht etwa die Fahrer, sondern das Jobcenter Uckermark. In der Klage forderte es die Aufstockungsleistungen in Höhe von rund 11 000 Euro zurück, mit denen es den kargen Lohn auf Hartz-IV-Niveau hob. Empfänger des Arbeitslosengeldes II bekommen derzeit 382 Euro monatlich plus Wohngeld und Heizkosten. Arbeitnehmer, die einen Lohn unterhalb dieser Grenze erhalten, können einen Zuschuss vom Staat beantragen.
Der Pizza-Service beschäftigte Arbeitnehmer, die bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 14 Stunden 100 bis 165 Euro brutto verdienten, wie der juristische Fachverlag Beck-online berichtet. Außerdem seien dort Vollzeitkräfte tätig gewesen, die bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden 430 Euro brutto erhalten hätten. Der Betreiber des Pizza-Service zahlte ihnen demnach Stundenlöhne von 1,59 Euro, 1,65 Euro und 2,72 Euro. Für acht dieser Arbeitnehmer hatte das Jobcenter Aufstockungsleistungen gewährt. Die Löhne lagen um mehr als die Hälfte unter dem ortsüblichen Entgelt für vergleichbare Tätigkeiten und waren damit klar sittenwidrig.
„Sittenwidrige Löhne sind kein Massenphänomen“
Solche Fälle geben der Forderung nach flächendeckenden Mindestlöhnen Nahrung, wie sie etwa die SPD fordert. Auch im Bundestagswahlkampf spielte die Debatte um faire Löhne eine wichtige Rolle. Genaue Zahlen über das Ausmaß gibt es jedoch nicht. „Sittenwidrige Löhne sind kein Massenphänomen“, stellt Heinrich Alt von der Arbeitsagentur klar. „Wir sprechen über Einzelfälle.“ Vor allem in Ostdeutschland träten diese auf.
Nicht zufällig ging deshalb auch das Jobcenter Stralsund als Erstes vor drei Jahren diesen ungewöhnlichen Weg, als es erfolgreich Aufstockungsleistungen in Höhe von 6000 Euro für sittenwidrige Löhne einklagte. Auch damals ging es um einen Pizza-Service, der seinen Mitarbeitern 1,32 Euro gezahlt hatte. Die Arbeitsagentur ist inzwischen auf den Zug aufgesprungen: In einem „Leitfaden Lohnwucher“ erläutert sie ihren regionalen Vertretungen, wie sie gegen sittenwidrige Löhne vorgehen müssen. Auch ein Muster für eine „Restlohnklage“ stellt sie zur Verfügung.
Quelle: FAZ