Kein Recht für Arme
Bundesregierung will Prozesskostenhilfe kürzen
Georg Restle: "Es ist einer der ehernen Grundsätze des Rechtsstaats, dass vor Gericht alle Menschen gleich sind. Ob Sie vor Gericht Ihr Recht bekommen, sollte jedenfalls nicht von Ihrem Geldbeutel abhängen. Wer wenig Geld hat, hat deshalb Anspruch auf Prozesskostenhilfe. Doch mit dieser Hilfe soll jetzt für viele Schluss sein. Geht es nach dem Willen der Bundesregierung, werden viele Geringverdiener in Zukunft keine Hilfe mehr vom Staat erhalten. Ob Sorgerecht oder Kündigungsschutz, mit der Waffengleichheit vor Gericht ist es dann vorbei. Mit einem Wort: Zweiklassenjustiz. Was das ganz konkret bedeuten kann, zeigen Ihnen jetzt Kim Otto und Jan Schmitt."
Natürlich würde sie gerne wieder arbeiten. Bloß wie soll Nadine Kubert das machen? Mit drei kleinen Kindern, drei, fünf und sieben, eines von ihnen behindert. Und natürlich würde sie lieber nicht von Hartz IV leben, selber die Miete zahlen. Aber seit einem Jahr ist alles anders. Ihre Ehe scheiterte, ihr Mann ging. Er wollte, dass sie aus dem Reihenhaus auszieht, er wollte auch die drei Kinder. Und sie fürchtete, alles zu verlieren.
Nadine Kubert: „Leon, Essen ist fertig!“
Einen Anwalt konnte sich Nadine Kubert nicht leisten. Dann erfuhr sie, dass es für Menschen wie sie, also „Geringverdiener“ oder „Hartz-IV-Empfänger“ finanzielle Hilfe bei Miet-, Familien- oder Arbeitsprozessen gibt, die so genannte Prozesskostenhilfe. Und ohne?
Nadine Kubert: „Dann würde ich wahrscheinlich jetzt bald in einem leeren Haus sitzen, eventuell ohne meine Kinder und hätte nichts mehr.“
Aber genau das könnte Menschen wie ihr bald drohen, denn Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger hat einen Gesetzentwurf zur Änderung des Prozesskostenhilferechts vorgelegt. Und die Änderungen bedeuten enorme Einschränkungen für die Schwachen der Gesellschaft. Laut Entwurf soll die so genannte „Waffengleichheit“ quasi aufgehoben werden. Das heißt, auch wenn der Gegner einen Anwalt hat, können Geringverdiener in Zukunft alleine vor Gericht stehen. Die Kosten für 10.000 Rechtsanwälte sollen so eingespart werden. Gerhart Baum ist ein enger Parteifreund von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Als Bundesinnenminister hatte er 1981 die Prozesskostenhilfe eingeführt. Die sieht er nun mit dem Gesetzentwurf bedroht.
Gerhart Baum, Bundesinnenminister a. D.: „Wir wollten diejenigen, die aus eigener Kraft nicht ihre Rechte wahrnehmen konnten, waffengleich machen. Und deshalb ist das eine soziale Errungenschaft, die im Grunde bewahrt werden muss. Was jetzt geschieht, ist doch eine Aushöhlung dieser Rechte, insbesondere für Niedriglohnbezieher. Ich würde mir wünschen, dass der Gesetzentwurf in der jetzigen Form nicht verabschiedet wird.“
Warum dann die Änderungen? Man verspricht sich vor allem: Einsparungen für die Länder. Die Reform soll ihnen nämlich etwa 64,8 Millionen Euro bringen. Genug, um dafür das Recht zu beschneiden? Am meisten träfe es die Geringverdiener. Denn viele, die bisher die Prozesskostenhilfe frei bekamen, sollen sie nun in Raten zurückzahlen und juristische Beratungshilfe für sie wird ganz gestrichen. Das betrifft laut Begründung des Gesetzentwurfs etwa 126.000 Geringverdiener. Verheerend besonders im Arbeitsrecht.
Christiane Sachs arbeitet seit über zwölf Jahren bei einer Druckerei und verdient 884,- Euro netto. Weil sie sich weigerte, einen Arbeitsvertrag zu schlechteren Bedingungen zu unterschrieben, hat ihr der Arbeitgeber gekündigt. Christiane Sachs ließ sich beraten und klagte. Auch sie bekam Prozesskostenhilfe.
Christian Nohr, Rechtsanwalt: „Guten Tag, schön, dass Sie gekommen sind. Wir müssen reden über Ihre Prozesskostenhilfe. Sie haben ja Prozesskostenhilfe erhalten für das eine Verfahren. Jetzt gibt es eine Reform im Bundestag. Und nach der Reform kann es sein, dass die nächsten sechs Jahre lang Ihre Vermögensverhältnisse nochmal geprüft werden. Das würde bedeuten, dass sie dann im schlimmsten Fall 30,- Euro im Monat ratenweise zurückzahlen müssen, obwohl Sie im Moment eine ratenfreie Prozesskostenhilfe erhalten haben.
Christiane Sachs: „Schaffe ich aber nicht.“
Christian Nohr, Rechtsanwalt: „Schaffen Sie nicht?“
Christiane Sachs: „Geht gar nicht.“
Christian Nohr, Rechtsanwalt: „Haben Sie Schulden?“
Christiane Sachs: „Ja.“
Christian Nohr, Rechtsanwalt: „Das hat die Folge, dass das Risiko, einen Prozess zu führen, nicht mehr kalkulierbar ist. Das hat auch zur Folge, dass viele abgeschreckt werden, ihre Rechte überhaupt auszuüben, weil sie nicht mehr wissen, ob sie sich das leisten können, die Raten im Nachhinein bezahlen zu können. Und es heißt auch letztlich eine Zweiklassenjustiz und -gesellschaft, denn nur der, der sein Recht auch wahrnehmen und ausüben kann, der geht dann noch zum Gericht, der das Geld dazu hat.“
Für Christiane Sachs ist manchmal schon das Nötigste zu teuer, trotz Arbeit. Nach Abzug von Kosten und Freibeträgen bleiben ihr 66,50 Euro im Monat. Davon müsste sie in Zukunft 30,- Euro für ihre Prozesskostenhilfe bezahlen.
Reporter: „Frau Sachs, was bedeuten 30,- Euro für Sie?“
Christiane Sachs: „Viel Geld. Muss damit ja auskommen, weil ich kann ja nur ein bisschen Brot kaufen, auf jeden Fall nur das Günstigste. Mehr kann ich mir nicht kaufen. Dann kann ich höchstens bei kik, höchstens für 5,- Euro mal ein T-Shirt kaufen - wenn überhaupt - oder für 2,99 Euro. Also für mich ist das viel, viel Geld.“
Zahlen müsste sie, obwohl sie ihr Verfahren gewonnen hat und ihr Arbeitgeber die Kündigung zurücknehmen musste. Aber ohne Prozesskostenhilfe kein Anwalt. Und ohne Anwalt?
Gerne hätten wir mit der Justizministerin über ihr Gesetzesvorhaben gesprochen. Aber leider hatte sie keine Zeit. Schriftlich heißt es aus ihrem Ministerium:
Zitat: „Der Entwurf führt zu keinen einschneidenden Einschränkungen bei der Gewährung von Prozesskostenhilfe. (...) Der Zugang zu deutschen Gerichten wird nicht erschwert.“
Nicht erschwert? Dabei will doch die Ministerin nach der Begründung ihres eigenen Gesetzentwurfs 126.000 Geringverdienern keine freie Prozesskostenhilfe mehr geben und in 10.000 Fällen die Rechtsanwälte einsparen. Zum Beispiel den von Nadine Kubert. Aber nur dank ihm kann sie in Zukunft weiter mit ihren drei Söhnen im gemieteten Reihenhaus wohnen - und dank der Prozesskostenhilfe.
Georg Restle: "Schon nächste Woche soll der Gesetzentwurf übrigens im Bundestag beraten werden. Die Zustimmung der Regierungskoalition ist dabei so gut wie sicher."
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Quelle: wdr.de