Hartz-IV-Empfänger, verkauft eure Möbel!
18.07.2013
Jobcenter-Broschüre sorgt für Ärger
Legen Sie Steine in die Klospülung, trinken Sie Leitungswasser und essen Sie weniger Fleisch: In einer Broschüre gibt ein norddeutsches Jobcenter Hartz-IV-Empfängern Tipps. Doch der Comic mit der fiktiven Familie Fischer sorgt für Entrüstung und wirft Fragen auf: Macht Hartz IV glücklich?
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Welches Kraut rauchen die da eigentlich in Pinneberg? Das fragt ein gewisser "Vocans". "Sonst kommen mir nur noch Tränen … Lachtränen …". Doch so witzig wie der Nutzer aus einem Internetforum finden nicht alle Leser die neue Spar-Broschüre für Hartz-IV-Empfänger vom Jobcenter Kreis Pinneberg. "Das ist der peinlichste ALG2-Ratgeber, der mir bisher in die Finger gekommen ist", wettert Ulrich Schneider, der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes bei n-tv.de. "Das ist eine pure Frechheit, wie Menschen, die in bitterer Not leben müssen, mit einer Seifenoper schlicht veralbert werden."
Was ist passiert? Vor einigen Tagen hatte das Jobcenter Pinneberg den Ratgeber "Arbeitslosengeld II" (ALG2) veröffentlicht. Um die Broschüre etwas aufzulockern, griffen die Initiatoren zum Malkasten. Das Ergebnis ist ein bunter Comic über Familie Fischer. Die Geschichte: Knut Fischer wird arbeitslos und muss Arbeitslosengeld beantragen. Am Beispiel der fiktiven Familie präsentiert das Jobcenter Tipps für den Alltag von vermeintlich typischen Hartz-IV-Empfängern.
Endlich Gemüse anbauen
Die Fischers nehmen die Hürde jedenfalls mit viel Fassung: Als die Familie beschließt, eine Woche auf Fleisch zu verzichten, jubelt die Tochter: "Ich wollte sowieso Vegetarierin werden." Um etwas Geld zu verdienen, verkauft die Familie im Internet zwei elf Jahre alte Möbelstücke für 350 Euro. Denn: "Der Erlös aus dem Verkauf von Möbeln" wird Hartz-IV-Empfängern nicht angerechnet. Doch damit nicht genug: Ebenso rät die Broschüre dazu, Leitungswasser zu trinken statt Getränke zu kaufen, zu duschen statt ein Vollbad zu nehmen und Steine in die WC-Spülkästen zu legen, um Wasser zu sparen. "Vielleicht müsst ihr euch nur daran gewöhnen", sagt eine Freundin.
Infolge des Hartz-IV-Bescheids ziehen die Fischers um. Denn die alte Wohnung ist größer, als das Amt erlaubt. Doch auch diese Zumutung meistert die Familie mit bewundernswerter Heiterkeit. Dass sie selbst renovieren müssen – kein Problem. Denn Mama Sylvia "streicht für ihr Leben gern". Ebenso unbeeindruckt lässt die Familie, dass das neue Zuhause viel kleiner ist als das alte. Fazit: Alle sind froh. Die Wohnung ist perfekt. Beide Kinder haben ein eigenes Zimmer. Und endlich hat Papa Knut einen eigenen Garten. Er wollte schon "so lange eigenes Gemüse anbauen". So schön ist wohl nur Hartz IV.
"Broschüre einstampfen!"
Heinrich Alt, Vizechef der Bundesagentur für Arbeit, ist jedenfalls begeistert von dem Comic. "Jobcenter Pinneberg hat einen tollen ALG2-Ratgeber herausgegeben", lobt er bei Twitter. Bei den meisten Lesern sorgt die Broschüre hingegen für Unverständnis. "Das ist ja widerwärtig. So viel rosarote Augenwischerei kommt ja nicht mal bei Barbie vor", schrieb eine Nutzerin bei Facebook. Ein anderer beklagt: "Wir leben in dem beklopptesten Land Europas!".
Schneider fordert, Hartz-IV-Empfänger ernst zu nehmen. "Wie kann man einen solchen Unsinn schreiben?" Der Comic zeige eine Familie, die in Hartz IV fällt, ihre Sachen verkauft, aus der Wohnung ausziehen muss und trotzdem frohlich sei. "Nach dem Motto: Hans im Glück und Hartz IV ist deine Chance, nutze sie." Für Bundesagentur-Vorstand Alt hat Schneider vor allem einen Ratschlag: die Broschüre "schnellstmöglich einzustampfen, anstatt sie bei Twitter zu empfehlen".
Und was wird aus der Comic-Familie? Papa Knut findet schließlich einen neuen Job in einer Metallverarbeitungs-Firma. An einem milden Maiabend sitzen Knut und Sylvia im Garten. "Übrigens hattest du Recht, als du letzten Sommer sagtest: Es kommen auch wieder bessere Zeiten", sagt sie in der Schlussszene der Geschichte. Am Ende wird wieder alles gut bei den Fischers. Knut erhält schließlich sogar noch eine weitere Job-Zusage. Woran es wohl lag? Wohl nicht nur an der hilfreichen Broschüre mit den vielen Tipps, sondern sicher auch an seinem neuen Anzug, denn: "Er sieht darin einfach verdammt gut aus".
Quelle: n-tv.de
Hier mal der Original Text vom Jobcenter Kreis Pinneberg:
„Ratgeber Arbeitslosengeld II leicht verständlich“
Das Jobcenter Kreis Pinneberg veröffentlicht heute seinen Ratgeber „Arbeitslosengeld II“ und geht damit neue Wege. In einer rd. 100 Seiten starken Broschüre wird anhand der fiktiven Geschichte einer vierköpfigen Familie, die Arbeitslosengeld II beantragen muss, das komplette Leistungsspektrum des Jobcenters dargestellt.
„Mit diesem Ratgeber wollen wir die komplizierte Materie „Grundsicherung für Arbeitsuchende“ für unsere Kunden verständlicher machen und Zusammenhänge aufzeigen. Formulare und Paragraphen sind häufig schwierig zu verstehen. Deshalb haben wir uns entschieden, die unterschiedlichen Informationen zu bündeln, in eine einfache Sprache zu übersetzen und in einem Mix mit Comic-ähnlichen Bildern aufzulockern, so Gerold Mellem, Geschäftsführer des Jobcenters Kreis Pinneberg. „Die Schwierigkeit bestand darin, typisches Behörden-Deutsch so umgangssprachlich wie nur möglich umzuformulieren, ohne das es falsch wird.“
Der Ratgeber beginnt mit der Antragstellung. Dabei werden auch die einzelnen Stationen im Jobcenter näher vorgestellt. Der nicht einfach zu verstehende Bewilligungsbescheid wird genauso wie viele Begriffe und Details aus dem Sozialgesetzbuch II (SGB II) ausführlich erklärt. Dazu kommen einzelne Kapitel zu verschiedensten Themen, wie zum Beispiel zu den Kosten der Unterkunft und Heizung, zum Bildungspaket und vieles mehr.
Darüber hinaus wird ausführlich rund um das Thema Bewerbungen mit Beispielen und wertvollen Tipps informiert. Eine Übersicht der Kontaktdaten von Beratungs- und Anlaufstellen im Kreisgebiet bei Problemlagen runden das Angebot ab.
Mit diesem neuen Ratgeber kann sich jeder Kunde umfassend über das Jobcenter und seine Rechte und Pflichten informieren. „Und falls der Kunde doch noch etwas nicht versteht, sollte er uns direkt darauf ansprechen“, so Mellem weiter.
Der Ratgeber ist nicht nur in den Kundenportalen bzw. Eingangszonen des Jobcenters kostenlos erhältlich sondern kann auch hier heruntergeladen werden.
Ich hab die Datei mal hochgeladen und ist hier zum Download.
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