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Mindestlohn kommt voran - gut für das Grundeinkommen

TV Pirat

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Die thüringische Koalitionsregierung von CDU und SPD hat für einen politischen Paukenschlag gesorgt. Erstmals fordern regierungsverantwortliche CDU-Politiker offiziell eine allgemeine gesetzliche Lohnuntergrenze. Das meldete die offizielle Website des Freistaats Thüringen am 18.7.2012. Die hochrangige politische Arbeitsgruppe „Gute Löhne“ legte ihren Abschlussbericht vor. In einer ausführlichen Analyse wird die Notwendigkeit eines Mindestlohns begründet und – daraus abgeleitet – die Struktur eines Gesetzentwurfs vorgestellt. Dieser soll noch im Herbst 2012 in den Bundesrat eingebracht werden. Mit der Zustimmung der Bundesländer, die ohne FDP-Beteiligung regiert werden, ist zu rechnen. Aus Bremen, dem Saarland und Sachsen-Anhalt gibt es bereits positive Reaktionen. Bremen war vor kurzem mit einem entsprechenden Landesgesetz vorangegangen.


Thüringer Schulterschluss von CDU und SPD für einen Mindestlohn

Die Thüringer Arbeitsgruppe, die zunächst unter dem Namen „Gute Arbeit – Faire Löhne“ startete, besteht aus acht Politikern, darunter vier Minister von CDU und SPD. Die Einigkeit zwischen beiden Seiten ist offenbar umfassend; die wissenschaftliche Analyse hatte somit große Überzeugungskraft. Dies wird auch in dem Abschlussbericht belegt, der u.a. die Befürchtung zurückweist, ein Mindestlohn werde zu Arbeitslosigkeit führen. Die FDP schäumt und spricht von „verrutschten Koordinaten“, wie die „Welt“ berichtet.

Die wichtigsten Punkte des Gesetzes werden die folgenden sein:


  • Die Lohnuntergrenze wird durch Gesetz plus Rechtsverordnung wirksam, sie bezieht sich auf einen Bruttostundenlohn.
  • Die Höhe des Mindestlohns wird jährlich – in Anlehnung an die gut funktionierenden Regelungen in Großbritannien – von einer gemischten Kommission aus Arbeitgebern und Arbeitnehmern festgelegt, die von ihren jeweiligen Verbänden entsandt werden.
  • Es gibt keinerlei Vorgaben oder Weisungen an die Kommission, auch keinen automatischen Inflationsausgleich.
  • Die Einhaltung der Mindestlohnvorschriften wird intensiv kontrolliert und mit Sanktionen durchgesetzt.

Diesem politischen Durchbruch gingen lange Vorgeplänkel voraus. „Der Arbeitnehmerflügel der CDU forderte die Einführung eines allgemeinen gesetzlichen Mindestlohnes, was umgehend von Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) unterstützt wurde“, meldete die „Berliner Zeitung“ am 30.8.2011. Die Ministerin musste dann zwar ein wenig zurückrudern, aber ein Wegweiser war erst einmal aufgestellt. Aus dem Arbeitgeberlager gab es schon vorher immer öfter zustimmende Signale, allerdings meist auf Teilgebieten, um Schlimmeres zu verhindern, z.B. bei der Diskussion um den Mindestlohn für Zeitarbeit. Im März 2010 hatte sich aber auch Michael Hüther, Präsident des von den Arbeitgebern finanzierten „Instituts der Deutschen Wirtschaft“, eindeutig geäußert: „Ich bin und werde kein Freund von Mindestlöhnen, aber ich sehe die Realität: Die Milch ist verschüttet durch die Branchenlösungen. In der Logik des Systems mit Grundsicherung und Tarifautonomie passt nur ein allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn.“ („Frankfurter Rundschau“)

Über die Höhe eines allgemeinen Mindestlohnes ist nicht entschieden. Die Gewerkschaftsforderung von 8,50 Euro Bruttostundenlohn würde – nach Berechnung des DGB – einem Monatsbruttoeinkommen von ungefähr 1200 Euro entsprechen. Wie sich das in den Rahmen anderer Länder einfügt, zeigt das Schaubild.

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Rückenwind für das Grundeinkommen

Was bedeutet nun die Einführung eines Mindestlohns für die Durchsetzung des Grundeinkommens in Deutschland? Auf dem Weg zum Grundeinkommen kann zunächst einmal die Diskussion innerhalb der Grundeinkommensbewegung aufhören, bei der es darum ging, ob der Kampf um Mindestlöhne mit der Forderung nach dem bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) zusammengehört.

Der Weg zum Grundeinkommen wird uns durch eine politische Landschaft führen, in der Mindestlöhne ein fester Bestandteil sind. Damit wird auch der Kritik von Gewerkschaftsseite der Wind aus den Segeln genommen. Sie wirft der Grundeinkommensbewegung vor, Arbeitnehmerinteressen zu verraten, indem sie eines der wichtigsten Kampfziele der Gewerkschaften – eben den gesetzlichen allgemeinen Mindestlohn – in Frage stellt. Ein wesentlicher Stolperstein, welcher jetzt noch der Erreichung des BGE entgegensteht, wird somit aus dem Weg geräumt. Mindestlöhne sind tatsächlich eine Brückentechnologie, die den Kampf für das BGE erleichtert. Man darf sich darüber freuen und den Gewerkschaften zu ihrem Erfolg gratulieren, der sich nun abzeichnet.

Andere Vorwürfe, die man oft von konservativen Arbeitnehmervertretern hört, bleiben allerdings immer noch bestehen, z.B. dass das BGE als Stilllegungsprämie zu verstehen sei oder dass es eine Geringschätzung der Erwerbsarbeit zum Ausdruck bringe. Diese Kritikpunkte beruhen allerdings auf Missverständnissen, sind also leichter zu widerlegen. Das BGE ist ganz im Gegenteil eine aktivierende Grundlage für ein tätiges Leben in Freiheit. Ebenso gehört zu der neu gewonnen Freiheit, dass Erwerbsarbeit für alle ermöglicht wird, die danach streben. Das schuldet die Gesellschaft nicht nur ihren einzelnen Mitgliedern, sondern sie braucht es auch selber. Schließlich ist doch die entlohnte Arbeit die wichtigste Finanzierungsgrundlage für das Grundeinkommen – jedenfalls noch auf lange Zeit.

Mindestlöhne auch auf Dauer Begleiter des Grundeinkommens

Es mag sein, dass über den Mindestlohn neu nachgedacht und gestritten werden muss, wenn das BGE eines Tages erreicht ist. Viele Grundeinkommensmodelle (siehe hierzu die vergleichende Übersicht) sehen Mindestlöhne ausdrücklich vor, während andere Befürworter einer Gesellschaft mit Grundeinkommen Mindestlöhne sogar für schädlich halten. Stellvertretend für diese Auffassung mögen die wiederholten Ausführungen von Sascha Liebermann stehen.

Liebermanns Argumente beziehen sich ja auf diesen Endzustand. Allerdings führt er sie selber ad absurdum, denn wenn die Erwerbstätigen mit dem Grundeinkommen unter den Füßen wirklich eine so ungewohnt starke Verhandlungsmacht hätten wie Liebermann unterstellt, wären sie ja allesamt der Zone entkommen, in der ein Mindestlohn greift. Schön wäre es ja.

Der Mindestlohn hat eine Schutzfunktion für diejenigen Menschen, die in den Niedriglohnbereich gezwungen werden. Die heutigen Zustände mit Erwerbstätigen, die ihr Niedrig-Einkommen mit Hartz-IV-Bezügen aufstocken müssen, gäbe es mit Grundeinkommen nicht mehr. In vielen Bereichen unangenehmer Arbeit könnten die erforderlichen Arbeitskräfte sicherlich nur angeworben werden, wenn höhere Löhne geboten würden als heute. Hier wäre dann ein Schutz durch Mindestlöhne nicht mehr erforderlich.

Welche Löhne ausgehandelt werden, hängt wesentlich von den Knappheitsverhältnissen auf dem Arbeitsmarkt ab. Auf der Seite des Arbeitsangebots stehen sich zwei Wirkungsmechanismen gegenüber. Einerseits kann das BGE dazu führen, dass wegen der gesicherten Existenzgrundlage jeder einzelnen Arbeitskraft im ganzen weniger Erwerbsarbeit angestrebt wird. Die Arbeitskräfte würden knapper, und die Unternehmer müssten sich gegenseitig überbieten, um ausreichend Personal anzuwerben. Das würde gerade im Bereich niedriger Löhne der Fall sein, während höher qualifizierte und besser verdienende Kräfte wahrscheinlich wie gewohnt weiter arbeiten wollen.

Andererseits wird mit dem BGE im unteren Lohnsegment jede Arbeitsaufnahme lukrativer, weil von Anfang an das zusätzliche Einkommen viel weniger besteuert wird als etwa bei Arbeitsaufnahme unter dem heutigen Hartz-IV-Regime. Zwar wird insgesamt die Steuerbelastung steigen, weil das Grundeinkommen die Einnahmen vieler Menschen erhöhen soll, doch wird in allen Konzepten eines BGE unterstellt, dass die niedrigen Einkommen eher entlastet statt zusätzlich belastet werden sollen. Es lohnt sich also auch bei geringeren Löhnen, die eigene Arbeitskraft anzubieten. Auch gibt es ja nicht nur ausgesprochen widrige Niedriglohn-Jobs, sondern auch solche, die auf andere Weise Befriedigung verschaffen als durch attraktive Bezahlung. Wer sagt uns, dass es nicht viele gäbe, die für geringe Löhne bereit wären, ihr doch jedenfalls bescheidenes Grundeinkommen ein wenig aufzubessern? Es ist somit nicht sicher, ob das Arbeitsangebot im Niedriglohnbereich um soviel knapper wird, dass die Löhne durchweg über das Niveau steigen, das durch den Mindestlohn abgesichert werden soll.

Die Knappheit wird aber nicht nur durch das Angebot, sondern auch durch die Nachfrage nach Arbeitskräften bestimmt. Wenn Rationalisierung zu einem Rückgang der Nachfrage nach gering entlohnter Arbeit führen würde, käme es zu einer Konkurrenz unter den Arbeitsuchenden. Ohne Mindestlohn könnten die Löhne immer weiter gedrückt werden. Die Schwächsten würden an den Rand gedrängt.

Falls es den Arbeitgebern gelingt, die Löhne deutlich zu senken – und die Erfahrungen in den letzten Jahrzehnten mahnen zur Vorsicht -, können sie sich über Zusatzgewinne freuen, weil der Nutzen, den die Niedriglöhner dem Unternehmen bringen, deutlich größer ist als die dann reduzierten Lohnkosten. Das BGE würde in diesem Zusammenhang wie ein Kombilohn wirken, weil es beim Aushandeln der Löhne zumindest teilweise angerechnet würde. Eine solche Subvention für die Unternehmen ist aber nicht Aufgabe des Grundeinkommens. Die Kluft zwischen Reich und Arm würde erneut erweitert, und zwar auf Kosten derer, die das Grundeinkommen finanzieren – sei es durch höhere Mehrwertsteuer, sei es aus Steuern auf Einkommen oberhalb der Transfergrenze. Dieser gesellschaftlich schädliche Effekt kann durch das Fortbestehen eines Mindestlohns verringert werden.

Grundeinkommen greift bürgerliche Ideale auf

Für die Grundeinkommensbewegung bleiben Fragen offen, die über das Mindestlohn-Problem weit hinausweisen. Wie gewinnen wir den bürgerlichen Mittelstand und damit die politische Mehrheit für unser Anliegen? Wollen die Grundeinkommensbefürworter alle Menschen bei ihrem Streben nach Wohlstand und Sicherheit auf das Grundeinkommensniveau als soziales Sicherheitsnetz verweisen? Argumentieren wir nicht an den Wünschen und Hoffnungen der übergroßen Mehrheit vorbei, wenn wir unterstellen, die Menschen müssten im Regelfall mit dem bescheidenen Lebensniveau zufrieden sein, das durch ein Grundeinkommen finanzierbar ist?

Oft wird damit geworben, alle Erwerbstätigen würden mit dem BGE an Verhandlungsmacht gegenüber den Arbeitgebern gewinnen. Unmittelbar gilt das aber nur für diejenigen, die jetzt weitgehend ohnmächtig sind. Die Mittelschicht der Fachkräfte, von den meisten hochqualifizierten Führungskräften ganz zu schweigen, ist in der Regel in einer guten Verhandlungsposition. Selbst wenn das nicht immer objektiv so ist, wähnen sich die meisten in starker Position. Das Argument, durch ein Grundeinkommen würden sie an Macht gewinnen, ist ihnen gegenüber somit kraftlos.

Nur wenn die breite Masse der Bevölkerung das Grundeinkommensniveau als ihren Standard akzeptierte, könnten diese Erwerbstätigen einen Zugewinn an Verhandlungsmacht gegenüber den Arbeitgebern erlangen. Für die meisten Angehörigen der mittleren und oberen Einkommensschicht ist das schwer vorstellbar. Ihr Motiv, das Grundeinkommen zu befürworten, liegt nicht in der persönlichen Existenzsicherheit, soweit das BGE sie garantieren kann, sondern in den Idealen von Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit. Sie wollen für sich selbst die Freiheit, sich einen gewissen Wohlstand und ein gutes Maß an Zukunftssicherheit zu erarbeiten. Gleichzeitig billigen sie beruflich weniger erfolgreichen Mitbürgern zu, nicht in Armut versinken zu müssen. Sie empfinden bewusst oder unbewusst, dass eine Gesellschaft auf Gerechtigkeit gegründet sein muss, wenn sie nachhaltig ein gutes Leben für alle ermöglichen soll.

Es ist wissenschaftlich nachgewiesen, dass große wirtschaftliche Ungleichheit zwischen den Bürgern sich höchst nachteilig auf das Wohlergehen der Gesellschaft insgesamt auswirkt. Das bestätigt nur die tief verwurzelten Grundüberzeugungen der bürgerlichen Mitte – zumindest in Europa. Die Konsequenz ist klar: Es kommt heute darauf an, die krasse Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen zu mindern. Der Mindestlohn ist einer der Schritte auf dem richtigen Weg. Wenn das BGE erreicht werden soll, muss unter anderem sichergestellt werden, dass es durch Umverteilung von Reich zu Arm finanziert wird.

Mindestlöhne und das bedingungslose Grundeinkommen gehören in einer gerechteren Gesellschaft zusammen.

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Quelle: grundeinkommen.de
 
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