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"Das ist eine Dreistigkeit": Markus Schächter greift HD+ an
Waffenstillstand aufgehoben: ZDF-Intendant Markus Schächter greift im großen DWDL.de-Interview zu den Medientagen München das kostenpflichtige HD+-Angebot der Privatsender als "Dreistigkeit" an und warnt gleichzeitig vor Google, Apple und Co.
Herr Schächter, lassen Sie uns gemeinsam hellsehen: Welche Themen werden Sie am Mittwochmorgen mit den Kollegen aus der Branche diskutieren?
Ich hoffe, dass wir gemeinsam erkennen, was die Stunde geschlagen hat und das jede rückwärtsgewandte Diskussion uns keinen Schritt weiter bringt. Wer einen Blick über die Grenzen wirft, der sieht, dass sich die Netzgiganten neu aufstellen. In den USA zeigen Google-TV und Apple-TV wohin die Reise geht. Suchmaschinen und Vertriebsplattformen saugen jeden Content auf, ganz egal von wem er stammt – Zeitungen, Verlage, Sender, Produzenten. Unsere Produkte werden zum Gegenstand fremder Geschäftsmodelle. Die heutigen Hersteller und Verbreiter publizistischer und kultureller Inhalte verlieren die Hoheit über ihre Produkte, wenn sie nicht sehr genau aufpassen. Ich sage es nicht zum ersten Mal: Es wird Zeit, dass wir in Deutschland endlich aufhören, die falschen Türen zu bewachen.
Welche Themen ermüden Sie denn inzwischen bei solchen Elefantenrunden?
Das meiste von dem, was wir in den vergangenen Jahren in strapaziösen Wiederholungsschleifen traktiert haben. Das permanente Wehklagen der kommerziellen Medien beispielsweise über angebliche Wettbewerbsverzerrungen durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk geht mir schon auf die Nerven. Es steht regelmäßig im diametralen Gegensatz zu den stolzen Gewinnmitteilungen der dahinter stehenden Konzerne. Es wird, wie ich eben sagte, Zeit, das wir uns den wichtigen Zukunftsfragen stellen. Es geht um nicht weniger als um die Zukunft unserer Medienlandschaft, mit weitreichenden Folgen für unsere Gesellschaft und unsere Demokratie.
Aber die Privaten mussten auch radikal sparen. Da sind sie ja eher in einer im wahrsten Sinne des Wortes beneidenswerten Situation...
Das ZDF hat in den letzten fünfzehn Jahren radikal umgebaut und gespart. Die Mär vom stetig reicher werdenden öffentlich-rechtlichen Rundfunk wird auch durch ständige Wiederholung nicht wahr. Die letzten Gebührenanpassungen lagen stets unter der allgemeinen Inflation. Neue Herausforderungen wie die Entwicklung der Digitalkanäle stemmen wir aus vorhandenen Mitteln.
Aber was läuft denn dann bei Ihnen in der Kommunikation schief, wenn die Öffentlichkeit eher den Eindruck hat, dass auch das ZDF wie die ARD immer mehr ausgeben?
Das ZDF bietet für knapp 5 Euro im Monat, ein vielfältiges und hochwertiges Programm rund um die Uhr, dazu drei Digitalkanäle, Online, Teletext und nicht zu vergessen 3sat, Arte, Phoenix und den KiKa. Ich wundere mich schon, dass sich kein Mensch darüber aufregt, dass die Privatsender mal eben fünf Euro für das ganz normale Programm in HD-Qualität kassieren wollen.
Das sind scharfe Töne zu HD+, aber...
...das ist schlicht die Realität. HDTV ist der neue Fernseh-Standard. Es ist eine Dreistigkeit, dem Publikum dafür ein Abonnement aufzudrücken. Das Privatfernsehen wird vor allem durch Werbung finanziert. Die Zeche zahlt also jeder, wenn er etwa Produkte des täglichen Lebens kauft. Mit der neuen Maut-Stelle wird die im europäischen Vergleich ohnehin rückständige Digitalisierung in Deutschland weiter abgebremst. Vielleicht wird das ja auch einmal in München diskutiert.
Ein interessantes Stichwort ist es in jedem Fall. Neben dem Thema HD bzw. HD+ war bei der IFA in diesem Jahr HbbTV ein großes Thema. Ist das ein relevantes Thema für das ZDF?
Ich sehe eine große Zukunft für hybrides TV. Für uns ist die ZDF-Mediathek ein passendes Angebot. Eine Applikation haben wir zur letzten IFA gestartet. Wir planen auch programmbegleitende interaktive Angebote – beispielsweise für das "heute-journal".
Von HbbTV zum Internet. Seit der Diskussion darüber, wieviel die Öffentlich-Rechtlichen im Web dürfen, haben Sie mit den Verlagen ja eine zweite Front, an der Sie kämpfen. Welche ist gerade anstrengender?
Mit den kommerziellen Sendern haben wir seit vielen Jahren einen modus vivendi, mit dem beide Seiten gut leben. Auch die Auseinandersetzung mit den Verlegern ist im Grunde ein alter Hut. In den 50er Jahren sahen sie ihren Untergang angesichts der Erweiterung der Fernsehfrequenzen auf sich zukommen. In den 60er Jahren war es die Bedrohung durch das neue ZDF und die Fernsehwerbung. In den 80er Jahren wurde das „Lesemedium Videotext“ zur Bedrohung für den Bestand von Zeitschriften und Zeitungen erklärt und jetzt ist es eben das Internet. Die historische Erfahrung führt zu einer entspannten Betrachtung.
Wenn ich mir vorstelle, wie Sie sich ein Schmunzeln nicht verkneifen konnten als Sie von den erneuten Veröffentlichung von Web-Inhalten der Öffentlich-Rechtlichen durch Netzaktivisten erfahren haben - habe ich dann eine blühende Fantasie oder gut getippt?
Ihre Fantasie ist beeindruckend.
Ist für Sie beim Thema, was die Öffentlich-Rechtlichen im Web dürfen, schon das letzte Wort gesprochen?
Was die bestehenden Telemedienangebote angeht, ja. Für neue Angebote gibt es mit dem Drei-Stufen-Test ein geregeltes Verfahren.
Wäre nicht ein Entgegenkommen sinnvoll? Die ARD denkt ja beispielsweise an, Programmfläche einzusparen. Also etwa einen Digitalkanal einzustellen?
Wir sind schon sehr weit ‚entgegen gekommen’, haben mehr als 80 Prozent unserer Online-Angebote dauerhaft aus dem Netz genommen. Was die Fernsehangebote angeht, können Sie ARD und ZDF nicht vergleichen. Die ARD hat, wie die großen kommerziellen Sendergruppen, schon lange zahlreiche eigene Kanäle. Das ZDF dagegen konnte sich gerade erst mit der Digitalisierung aus dem alten Dilemma des Einkanal-Senders befreien. Die Digitalkanäle bieten uns erstmals die Möglichkeit, unsere Programme sinnvoll auch in einer gewissen Breite einzusetzen. Zum anderen haben wir dort erstmals Experimentierflächen für neue Formate und Protagonisten. Ein strategischer Vorteil, den die ARD seit jeher mit den Dritten Programmen für sich beanspruchen konnte.
Aber um mit den Digitalsendern nennenswerte oder überhaupt messbare Reichweite zu erzielen, muss ja deutlich mehr investiert werden, wie ZDFneo beweist. Also auch wieder nix mit sparen?
ZDFneo zeigt, dass eine spürbare Akzeptanzsteigerung auch mit einem überschaubaren Mitteleinsatz möglich ist. Das Problem liegt in der noch begrenzten Reichweite von nur etwas mehr als 40 Prozent der Haushalte.
Wenn das ZDF einen eigenen Kulturkanal hat und der Austausch von Informations- und Kultursendungen der drei deutschsprachigen Länder via Mediatheken im Internet möglich ist: Welche Berechtigung, welche Notwendigkeit gibt es dann eigentlich noch für 3sat?
3sat ist ein sehr besonderes TV-Angebot, weil es sich aus der Substanz der drei deutschsprachigen Länder – Österreich, Schweiz und Deutschland – speist. Es dient damit auch der Verständigung und dem kulturellen Austausch in dieser Region. Das ist per se „unique“ und darin liegt eine besondere Berechtigung.
Das ZDF experimentiert viel - eben im Web, mit ZDFneo oder einem hervorragenden Projekt wie "24 Stunden Südafrika" vor der Fußball-WM. Doch all das findet außerhalb des Hauptprogramms statt. Werden hier Gebührengelder vergeudet?
Warum vergiften Sie denn Ihr Kompliment so unnötig? Gerade das Projekt „24 Stunden Südafrika“ war intensiv mit dem Hauptprogramm vernetzt. Wir haben darüber in allen aktuellen Sendungen berichtet. Es gab zahlreiche Querverweise und eine Zusammenführung im Online-Angebot des ZDF. Das Afrika-Projekt ist ein gelungenes Beispiel dafür, wie die Synergien zwischen unterschiedlichen Programmplattformen genutzt und sinnvoll eingesetzt werden können.
Ein aktuelles Beispiel: Wäre eine Serie wie "Mad Men" nicht qualifiziert genug, um im ZDF zu laufen?
Sie läuft im ZDF, genau gesagt auf ZDFneo. Warum soll ich ein exquisites Programm für ein kleines Publikum im Hauptprogramm abstürzen lassen, wenn ich eine geeignete Plattform dafür habe?
Es gibt Kritiker, die Ihnen solche Experimente generell vorwerfen, meist weil sie Ihnen Konkurrenz machen. Mich wundert eher, dass letztlich der Mut fehlt. Warum zeigt man "24 Stunden Südafrika" nicht im Hauptprogramm. Da hätte das ZDF sofort Schlagzeilen und Aufmerksamkeit für das Projekt gehabt...
Weil wir unser Programm nicht machen, um Schlagzeilen zu machen, wir machen es für das Publikum. Dabei gilt es, unterschiedliche Interessen und Bedürfnisse zu berücksichtigen und abzuwägen – darunter auch die Stabilität eines Angebots, an dem sich die Zuschauer orientieren. Und mit Verlaub: Nach meiner Beobachtung hat das Projekt „24 Stunden Südafrika“ eine erhebliche Resonanz in der Presse und im Netz gefunden. Ihre Einschätzung, das sei außerhalb der öffentlichen Wahrnehmung geschehen, kann ich beim besten Willen nicht teilen.
Bleiben wir doch zum Abschluss kurz beim Hauptprogramm: Täuscht es oder weicht bei den Programmierungen die Waffenruhe zwischen dem Ersten und dem ZDF auf?
Das täuscht. Wir stehen schon immer im Wettbewerb zueinander – aber wir sprechen oft miteinander und stimmen uns in vielen wichtigen Fragen ab.
Zum Abschluss noch eine Frage: Nehmen wir mal an, bei den Berechnungen der neuen Rundfunkgebühr kommt heraus, dass durch die neue breitere Verteilung der Gebührenlast eine geringere monatliche Gebühr nötig wäre, um auf das gleiche Gesamtvolumen zu kommen: Ist dann eine geringere Rundfunkgebühr denkbar oder werden, so die allgemeine Erwartungshaltung, ARD und ZDF schon Ausgaben finden...
Sie haben Vorstellungen! So herum funktioniert das nicht. Die KEF prüft die Bedarfsanmeldungen von ARD und ZDF und Deutschlandfunk, gleicht sie mit dem gesetzlichen Programmauftrag ab und macht eigene Rationalisierungsvorgaben. Was dabei herauskommt, werden wir sehen.
Ich wollt einfach mal gefragt haben. Herr Schächter, herzlichen Dank für das Gespräch.
Quelle: dwdl