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IPTV Wie sich das Kino gegen die Streaming-Konkurrenz wehrt

Nicht nur die Pandemie hat den Kinos zugesetzt. Die Lichtspielhäuser stecken in einem strukturellen Problem. Da sind neue Konzepte fürs Überleben gefragt.

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Das lineare Fernsehen, Videostreaming-Plattformen und soziale Netzwerke ringen in Zeiten des medialen Überangebots um die Aufmerksamkeit der Zuschauer. Die Einbindung der Inhalte von TV-Kanälen auf Streaming-Plattformen sorgen für weitere Verzahnungen im Medienangebot. So hat etwa YouTube USA damit begonnen Nutzern Fernsehkanäle mit Filmen und Fernsehserien mit Werbeeinblendungen kostenlos zur Verfügung zu stellen. In diesem Gemengelage hat jedoch besonders das Kino eine schwierige Position.

Seit Jahrzehnten nimmt die Gesamtzahl der Kinozuschauer in Europa und Nordamerika ab. Seinen Höhepunkt erlebte das deutsche Kino in den 1960er-Jahren. Durch Preiserhöhungen und Multiplex-Kinos konnte die Branche ihren Gesamtumsatz bisher zwar weitgehend konstant halten, und auch der Kino-Boom in Asien half, den Abwärtstrend zu bremsen. Doch Corona brachte dieses trügerische Gleichgewicht ins Wanken. Die Umsätze brachen um rund 70 Prozent ein. In Deutschland und den USA gelang es noch, nicht zuletzt dank großzügiger staatlicher Hilfen, Schließungen zumindest bei kleineren Kinos weitgehend zu vermeiden. Doch der mit rund 10.000 Kinos weltgrößte Betreiber AMC hielt sich nur mit Überbrückungskrediten über Wasser und steht womöglich vor dem Konkurs. Anderen Ketten geht es ähnlich.

Dieser Text erschien erstmals in der Ausgabe 1/2022 von MIT Technology Review unter dem Titel "Schwimmen gegen den Stream" (im heise shop bestellen). Wir veröffentlichen ihn an dieser Stelle frei lesbar.

Was ist aus dem Kulturort Kino geworden?


"Wir haben es mit einer strukturellen Krise des Kinos zu tun", sagt Lars Henrik Gass, Chef der Kurzfilmtage Oberhausen, "nicht mit einer temporären, pandemiebedingten." Bereits 2017 hatte etwa Stefan Paul, Betreiber des Tübinger "Arsenal"-Kinos, Alarm geschlagen: "Die junge Generation haben wir schlichtweg verloren." Der Kulturort Kino gehe selbst in seiner kulturorientierten Stadt "an der Studentenschaft vorbei".

Veränderte Gewohnheiten, aufkommende Streaming-Dienste, und jetzt auch noch Corona – über der Kino-Branche braut sich offenbar so etwas wie ein perfekter Sturm zusammen. Gefühlt war die Geschichte des Kinos allerdings von Beginn an eine des Totgesagtwerdens. Filmemacher und Kritiker sahen schon die Anfänge des "Sprechfilms" als Entzauberung: "abgefilmtes Theater", wetterte Medienwissenschaftler Rudolf Arnheim seinerzeit; lediglich den Stummfilm hielt er für Filmkunst in reinster Form.

Gleichzeitig veränderte der Wegfall von Piano-Begleitung oder gar Live-Orchestern den Erlebnischarakter des Kinos. Schien es zunächst angetreten, um Theater, Oper und Konzert das Wasser abzugraben, sah es sich bald selbst unter Druck. Die Kino-Wochenschau musste zunehmend mit anderen Nachrichtenmedien wie Radio und Fernsehen konkurrieren, später kamen Videokassette, DVD und Blu-ray hinzu.

Zaghafte Streaming-Versuche

Für Studios ist das vor allem deshalb fatal, weil das Kino für sie eine unersetzliche wirtschaftliche Aufgabe erfüllt: Es veredelt den Film und sorgt dafür, dass die Zuschauer ihn überhaupt wahrnehmen. Dadurch steigert es die Absatzchancen auf anderen Auswertungskanälen. Das Einspielergebnis ist dabei oft zweitrangig; tatsächlich erzielt die Mehrzahl der Filme wegen der hohen Marketingkosten im Kino keine Gewinne.

Die Kinos wiederum brauchen Blockbuster mit Millionen von Zuschauern "als Zugpferde, weil die Kinos nur dann überleben können, wenn sie immer mal wieder richtig Geld verdienen", erklärt Rüdiger Suchsland, einer der profiliertesten deutschen Filmkritiker. In Hollywood heißen solche Filme "Tentpoles" – die Masten, die das Zirkuszelt aufrecht halten.

Während der Pandemie brach das Tabu

Doch die Pandemie machte erst so richtig sichtbar, welche Verwerfungen die digitale Transformation bereits im Filmgeschäft hinterlassen hat. Und sie brachte Produzenten zum Experimentieren: Würde sich ein Blockbuster ohne Kino, nur via Streaming etablieren lassen?

Bisher galt eine Sperrfrist zwischen Kinostart und nachfolgenden Auswertungsfenstern wie Streaming, Blu-ray und Pay-TV. Für den – fast immer subventionierten – deutschen Film diktiert etwa das Filmförderungsgesetz eine Frist von sechs Monaten. Zwar ruft selbst Christine Berg, Vorstandsvorsitzende des Hauptverbands Deutscher Filmtheater, hier nach einer flexibleren Lösung. Grundsätzlich hält sie die Sperrfrist aber für unabdingbar: "Wir glauben an die Kraft des Kinos. Trotzdem brauchen wir zusätzlich diese Regelung. Dafür kämpfen wir im Moment sehr."

Derartige Kämpfe beuteln die Branche, seit es Fernsehen und Home Video gibt. Beispielsweise drohten 2006 deutsche Kinobetreiber, allen voran der "Cinemaxx"-Gründer Hans-Joachim Flebbe, mit einem Boykott, weil Twentieth Century Fox den Film "Eragon" bereits drei Monate nach Kinostart auf DVD herausbrachte. Immerhin hatte "Eragon" bis dahin bereits 1,7 Millionen Besucher in die Kinos gelockt. In Verhandlungen einigte man sich international auf ein neues "Kinofenster" von vier Monaten, das später auf drei zusammenschrumpfte.

Doch während der Pandemie brachen einige Studios mit Filmen wie "Black Widow" das Tabu und brachten Filme gleichzeitig im Kino und per Streaming heraus. Regisseure, Schauspieler und Kinobetreiber versuchten, sich durch Appelle und Boykotte gegen dieses "Day & Date"-Modell zu wehren. Trotzdem verloren die Kinos Hans-Joachim Flebbe zufolge einen Teil ihrer Zuschauer unwiederbringlich ans Abonnement-basierte Streaming.

Nicht ganz unwichtig ist in diesem Zusammenhang, dass die meisten großen Studios, teils über Tochterfirmen, eigene Streaming-Plattformen unterhalten. Disney etwa hatte seinen Dienst vier Monate vor der Krise gestartet, in Deutschland ging Disney+ im März 2020 an den Start. Konkurrent Warner Brothers folgte mit der eigenen Plattform "HBO Max" einer ähnlichen Strategie, fand zahlreiche Stars aber bereits im Vorfeld mit rund 200 Millionen Dollar ab.

Die Situation erinnert an Hollywoods "Goldene Ära", in der die großen Studios gleichzeitig die Kinos kontrollierten – wie auch die UFA in Deutschland. 1948 hatte der US Supreme Court diese Oligopolstellung beendet; im August 2020 allerdings schaffte die Trump-Regierung das entsprechende "Paramount-Dekret" wieder ab.

Kinogänger outen sich als begeisterte Streaming-Kunden

Die Plattformen der Studios mit ihren Premium-Gebühren für einzelne Filme bekommen wiederum Konkurrenz durch Netflix und andere Mediatheken mit Flatrate-Gebühren. Für dieses Segment erwartet das Beratungsunternehmen Price Waterhouse Coopers in Deutschland bis 2025 ein Volumen von zwei Milliarden Euro, mit einer jährlichen Wachstumsrate von acht Prozent. "Die Gründe sind der anhaltende Trend hin zu Abonnement-Modellen, die zu erwartenden Preissteigerungen und der Eintritt neuer Wettbewerber mit zusätzlichen Angeboten. Die Zahl der Abonnentinnen und Abonnenten wird voraussichtlich von 32 Millionen in 2020 auf knapp 44 Millionen in 2025 steigen."

Gleichzeitig outeten sich 2019 in einer Umfrage der US-Marktforschungsfirma "Comscore" unter Tausenden regelmäßiger Kinogänger knapp 35 Prozent als begeisterte Streaming-Kunden. Dieselbe Studie ermittelte über sieben Jahre hinweg den Anteil 18- bis 25-jähriger Kinogänger mit konstant einem Viertel – eine demografische Kohorte, die sonst häufig als "ans Streaming verloren" gilt.

Tonfilm, Farbfilm, Cinemascope

Konkurriert das Kino also nicht eher mit anderen Außer-Haus-Unterhaltungsangeboten wie Theatern, Opern, Restaurants, Bars, Clubs, Konzerten, Bowling oder Jahrmärkten als mit dem Streaming, das ja ausschließlich daheim stattfindet? Und wenn man das Kino weder als reine Abspiel-Plattform noch als Museum für Filmkunst sieht, was bleibt dann übrig?

Aus Sicht der Filmemacher bedeutet Kino eine Art Vertrag: Das Publikum bezahlt dafür, sich zwei Stunden lang einsperren zu lassen, auf Ablenkungen zu verzichten und dem Filmerlebnis seine volle Aufmerksamkeit zu widmen. Im Gegenzug versprechen die Filmemacher nichts weniger als eine emotionale Achterbahnfahrt, welche die Zuschauer vergessen lässt, dass sie im Kino sitzen.

Das Aus der Kinoprojektoren

Um das Achterbahn-Gefühl zu verstärken und sich Alleinstellungsmerkmale zu sichern, setzte die Branche immer wieder auf technische Neuerungen. Auf den Tonfilm folgten Farbfilm und Cinemascope. Gleich zwei 3D-Booms erlebte das Kino – zunächst in den 1950er-Jahren, dann von 2010 bis 2015. Beide endeten mehr oder weniger als Flops, genauso wie das Geruchskino. Lediglich in Asien werden weiterhin 3D-Kinosäle in Betrieb genommen.

Als sich 2012 das Aus der analogen Kinoprojektoren abzeichnete, drohte Quentin Tarantino gar, seine überaus erfolgreiche Regisseurlaufbahn zu beenden. Digitalprojektion sei wie öffentliches Fernsehen, verkündete er auf dem Filmfestival in Cannes, das habe nichts mehr mit Kino zu tun. Er könne "das digitale Zeug" nicht ertragen. Besonders seinen Einsatz als Gastregisseur einer Sequenz in Robert Rodriguez’ "Sin City" von 2005 mag er als traumatisch erlebt haben, denn die Comic-Verfilmung entstand nicht nur digital, sondern komplett virtuell vor grünem Hintergrund.

Tarantino blieb dem Zelluloid treu: Seinen Western "The Hateful Eight" von 2015 gibt es sogar als 90 Kilo schwere Einzelrolle in 70 Millimeter. Zwei Personen müssen sie in den Projektor hieven.

Fernsehen im Kinosaal

Eine Art Gegenentwurf dazu möchte Samsung etablieren: Bisher 30 Leinwände weltweit ersetzte der Elektronikkonzern durch seinen "Onyx"-LED-Screen. Den könnte man tatsächlich als Fernsehen im Kinosaal bezeichnen. Der "Traumpalast" in Esslingen bei Stuttgart etwa installierte 2018 einen aus 96 randlosen Einzelmodulen zusammengesetzten Riesenbildschirm im Format 10,3 mal 5,4 Meter. Durch den Wegfall der Projektionslinse kommt die Technik ohne Verzerrungskorrektur aus. Sie ermöglicht "echtes" Schwarz sowie eine zehnmal höhere Leuchtdichte: HDR-Inhalte (High Dynamic Range) stellt sie mit 500 Candela pro Quadratmeter dar (und zieht so mit heimischen TV-Geräten gleich). Auch 3D-Filme sollen auf dem Riesenfernseher erst richtig zur Geltung kommen. Inzwischen ließ LG ein Konkurrenzprodukt zertifizieren.

Manche Distributionsexperten, etwa der Potsdamer Kinodisponent Marc Eric Wessel, erwarten vor allem für kleinere Independent-Filme zudem eine Neuausrichtung Richtung Event. Ähnlich wie bei einer Band auf Konzerttournee gibt es dabei ein, zwei lange vorher angekündigte Termine pro Stadt, gerne mit Anwesenheit der Macher und Macherinnen zwecks Gespräch nach der Vorstellung. Die herkömmliche Dauer-Abspielschleife bliebe dann hauptsächlich Blockbustern vorbehalten.

Events sorgen für vollere Kinos

Nach Wessels Erfahrungen sorgt die Event-Strategie für vollere Kinos, weil man den Besuch eines bestimmten Films nicht "auf die lange Bank schieben" könne. Einige Verleiher haben sich bereits erfolgreich auf dieses Segment spezialisiert. Zu den Marktführern gehören die 2006 gegründete "Trafalgar Releasing" mit über 4.000 Kinos in 120 Ländern, "Fathom Events" (45 Länder, gegründet 2005) sowie "Iconic Events", entstanden 2020 als Reaktion auf die Pandemie, mit bereits 1.000 Kinos.

Film wieder als Familien-Event

Geradezu exotisch erscheint auf den ersten Blick "Theatrical On Demand". Über eine Online-Plattform wie de.demand.film sucht man sich einen Film aus und trommelt dann Familienmitglieder, Freunde und Nachbarn zusammen. Ist die Mindest-Gruppengröße erreicht, bucht man die Vorstellung zum fixen Termin für ein nahegelegenes Kino. Die Plattform übernimmt die Logistik, die Zuschauer zahlen normale Eintrittspreise.

In Mecklenburg-Vorpommern und anderen Regionen setzen dieses Modell sogenannte Abspielringe wie "Dorfkino einfach machbar" um. Die Betreiber touren mit einem Kinomobil über Land, die Zuschauer stellen den Saal. Über das von der Kulturstiftung des Bundes geförderte Projekt gibt es sogar schon einen eigenen Dokumentarfilm ("Verrückt nach Kino!").

In ähnlicher Mission ist Tobias Rank bereits seit 1999 in Europa unterwegs. Sein Oldtimer-Feuerwehrwagen, Baujahr 1969, enthält die gesamte 16-Millimeter-Vorführtechnik, um jeden Ort in kürzester Zeit in ein nostalgisches Open-Air-Kino zu verwandeln. Zu seinem Programm gehören sowohl Stumm- und Monumentalfilme als auch Independent-, Avantgarde- und Experimentalstreifen.

"Solidarisch streamen mit den Kinos"

Eine weitere Idee ist die "Digitale Leinwand": Kinos verkaufen Tickets für den Stream eines aktuellen Films zum selben Preis wie für eine Vorstellung vor Ort. Mit diesem Konzept rettete sich die US-Kinokette Laemmle über den Lockdown. In Deutschland schlossen sich kommunale und Programmkinos zum Netzwerk cinemalovers.de zusammen. Ihr Motto: "Solidarisch streamen mit den Kinos".

Wenn alle Stricke reißen, könnte sich die Branche noch auf die "Serials" besinnen, die in den 1920er-Jahren Woche für Woche scharenweise Publikum anlockten: halbstündige Vorfilme mit typischerweise zwölf Episoden. Sie endeten jeweils mit einem Cliffhanger und machten Helden wie Flash Gordon, Buck Rogers, Fantomas, Dick Tracy, Zorro, Dr. Fu Man Chu oder auch den Lone Ranger unsterblich.

Quelle; heise
 
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