Gesetzentwurf zu Gesundheitsdaten: Abschied vom Patientengeheimnis
10.08.2023 15:34 Uhr Christiane Schulzki-Haddouti
Du musst angemeldet sein, um Bilder zu sehen.
(Bild: Andrei_R/Shutterstock.com)
Das Gesundheitsministerium nimmt Abstand zur geplanten Einführung eines Forschungsgeheimnisses. Das schwäche das Patientengeheimnis, so die umgehende Kritik.
Das Bundesgesundheitsministerium hat nach internen Anhörungen zum Entwurf des Gesundheitsdatennutzungsgesetzes (GDNG) [1] ursprünglich enthaltene Schutzregelungen zum Forschungsgeheimnis zurückgenommen. Im Ergebnis ist das Patientengeheimnis deutlich geschwächt. Zwei relevante Gesetzesartikel, die in einer Vorfassung vom Juni noch enthalten waren, wurden im aktuellen Entwurf gestrichen – der bereits Ende August im Kabinett verabschiedet werden soll.
Aufgrund der so entstandenen Regelungslücke bestehen gravierende Datenschutzdefizite im Bereich E-Health, kritisiert das Netzwerk Datenschutzexpertise in einem Gutachten [2]. Datenschützer fordern seit Jahrzehnten die Einführung eines Forschungsgeheimnisses für Gesundheitsdaten. Insbesondere DNA-Daten und spezifische Körpermerkmale sollen durch ein Zeugnisverweigerungsrecht der Behandelnden und Forschenden sowie einem Beschlagnahmeverbot geschützt werden.
Schutzregelungen zu Forschungsgeheimnis gestrichen
Der erste Vorschlag für ein Gesundheitsdatennutzungsgesetz sah vor, in § 203 des Strafgesetzbuches zur Geheimhaltung von Patientendaten einen neuen Absatz 2a einzufügen, der die unbefugte Weitergabe oder Re-Identifizierung von vertraulichen Forschungsdaten verbietet. Außerdem sollte in den Paragrafen 53 und 97 Strafprozessordnung ein Zeugnisverweigerungsrecht sowie ein Beschlagnahmeverbot auch von pseudonymisierten Gesundheitsdaten, die für Forschungszwecke verwendet werden, festgelegt werden. Diese Regeln zum Schutz von Forschungsdaten sind im aktuellen Referentenentwurf nicht mehr enthalten.Das Gutachten des Netzwerks Datenschutzexpertise betont, dass das Bundesgesundheitsministerium mit den geplanten Gesetzesinitiativen einen "Paradigmenwechsel" zum Patientengeheimnis vornimmt, damit die Gesundheitsdaten im öffentlichen Interesse nutz- und auswertbar werden. Auch nach der Streichung der Gesetzesartikel zum Forschungsgeheimnis und Beschlagnahmeschutz spricht der Entwurf des GDNG noch von einem "ermöglichenden Datenschutz".
Forschung hat keine stärkeren Rechte
Obwohl das Hauptziel des Gesetzes darin besteht, der Forschung einen besseren Zugang zu Gesundheitsdaten zu ermöglichen, erhält die Forschung keine besonderen Rechte. Die Privilegierung der wissenschaftlichen Forschung gegenüber operativen Sekundärnutzungen von Gesundheitsdaten, etwa durch Unternehmen, wird im Entwurf nicht klar abgegrenzt. Damit löst das Bundesgesundheitsministerium auch das Koalitionsversprechen eines Forschungsdatengesetzes nicht ein, stellt das Netzwerk Datenschutzexpertise fest. Da aber das Bundesforschungsministerium an einem solchen Gesetz arbeitet, könnte auf diesem Weg doch noch ein gesetzliches Forschungsgeheimnis eingeführt werden.Hinzu kommt, dass im Grunde jede natürliche oder juristische Person eine Datennutzung beantragen kann, die dann vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) genehmigt werden muss. Laut Netzwerk Datenschutzexpertise enthält der Gesetzesentwurf überdies "die Perspektive, dass alles, was im weitesten Sinn als Gesundheitsdaten verstanden werden kann, für Sekundärzwecke nutzbar gemacht werden kann".
Auswertungszwecke ausgeweitet
Die Zwecke der Sekundärnutzung sind nicht auf die wissenschaftliche Forschung beschränkt, sondern umfassen auch operative Zwecke. Dazu gehört etwa die Steuerung der Vertragspartner der gesetzlichen Krankenassen, die Qualitätsverbesserung, Ressourcenplanung, die Unterstützung von politischen Planungen, die Entwicklung besonderer Behandlungsprogramme und die Gesundheitsberichterstattung. Möglich werden soll jede Form der "Wahrnehmung von gesetzlichen Aufgaben im Bereich der öffentlichen Gesundheit" sowie zu fast jedem Zweck, der irgendwie mit Gesundheit im Zusammenhang steht. Dazu gehören auch rein kommerzielle Zwecke, soweit es kein Missbrauchsverdacht vorliegt.Ausdrücklich nicht erlaubt sind die Verwendung der Daten für Werbung, zur Patientenschädigung oder um Versicherungsverträge zu gestalten. Das Netzwerk Datenschutzexpertise stellt überdies fest, dass das "öffentliche Interesse" von den Behörden festgestellt wird, ohne dass darüber eine öffentliche Kontrolle möglich sei.
Eine "grundrechtsgefährdende Blackbox"?
Zwar sollen Patienten ihre persönlichen Gesundheitsdaten leichter für weitere Nutzungszwecke zur Verfügung stellen, ihre Schutzinteressen werden jedoch nicht gestärkt. Das Netzwerk Datenschutzexpertise warnt eindringlich davor, dass das Gesundheitsdatennutzungsgesetz zu einer "grundrechtsgefährdenden und demokratiefremden Blackbox" wird, wenn es darauf verzichtet, demokratische Grundsätze gesetzlich zu verankern. Zu diesen Grundsätzen gehören die Betroffenenorientierung und größtmögliche demokratische Transparenz. Derzeit ist lediglich vorgesehen, dass Forschungsergebnisse veröffentlicht werden müssen, wenn die Datenverarbeitung im öffentlichen Interesse liegt. Eine kritische Hinterfragung der Forschungsvorhaben bereits im Antragsverfahren ist nicht vorgesehen. Nur so könnten Betroffene aber ihr Widerspruchsrecht informiert wahrnehmen.Zu den demokratischen Grundsätzen gehören außerdem prozedurale Verfahrenssicherungen mit wirksamen Kontroll- und Sanktionsmechanismen sowie technisch-organisatorische Gewährleistungen. Thilo Weichert vom Netzwerk Datenschutzexpertise sagt dazu: "Es werden sicher nicht die CDU und die AfD sein, welche die Einhaltung dieses Versprechens auf Datenschutz einfordern werden." Eingefordert werde dies aber von den Patientinnen und Patienten und damit letztlich auch vom Bundesverfassungsgericht. Die Bundesregierung täte dem Standort Deutschland keinen Gefallen, "Gesundheitsdaten zum Mehrwert eines privatwirtschaftlichen oder staatlich orientierten Überwachungskapitalismus" zu machen. Weichert: "So berechtigt es ist, im Rahmen eines Paradigmenwechsels das Patientengeheimnis zu relativieren, so inakzeptabel ist es, dies derart uferlos und ohne verfassungskonforme Sicherungen zu tun."
Entscheidungen zum Forschungsgeheimnis bleibt Gerichtssache
Die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) gilt zwar uneingeschränkt, enthält aber keine bereichsspezifischen Regelungen zum Umgang mit gesundheitsbezogenen Forschungsdaten. Der europäische Gesetzgeber sieht hier die Mitgliedstaaten in der Pflicht, Regelungen zu entwickeln. Fehlen diese, müssen sie in der Praxis über Auslegungen der Aufsichtsbehörden und Gerichtsverfahren über viele Jahre mit relativ hohem Aufwand entwickelt werden.(mack [3])
URL dieses Artikels:
Gesetzentwurf zu Gesundheitsdaten: Abschied vom Patientengeheimnis
Das Gesundheitsministerium nimmt Abstand zur geplanten Einführung eines Forschungsgeheimnisses. Das schwäche das Patientengeheimnis, so die umgehende Kritik.
www.heise.de