Reed Hastings, Gründer und Vorstandschef von Netflix, spricht im Interview mit unserer Redaktion über den Erfolg des Streamingdienstes, die Herausforderungen für das Unternehmen und über den deutschen Markt. Von Tobias Jochheim
In den ersten zehn Jahren seines Bestehens war der heutige Online-Gigant Netflix mit 93 Millionen zahlenden Kunden vor allem offline aktiv. Die Firma versendete Leih-DVDs per Post quer durch die USA. Seit 2007 lässt Netflix seine Kunden eine große Auswahl von Spielfilmen, TV-Serien und Dokumentationen streamen. Seit 2014 klappt das auch in Deutschland, seit 2016 in jedem Land der Welt bis auf China, Syrien und Nordkorea. Der Gründer und Konzernchef Reed Hastings (56), ist erschöpft von einer PR-Reise durch Europa, aber gut gelaunt.
Warum sitze ich hier Ihnen gegenüber? Damit meine ich: Warum gibt es nur so wenige Deutsche, die mit Start-Ups erfolgreich sind?
Hastings Ach, so wenige sind es doch gar nicht. Soundcloud ist doch ein deutsches Start-Up, oder nicht?
Soundcloud wurde in Berlin gegründet – allerdings von einem Schweden und einem Briten. Ich sorge mich, dass die Tradition der deutschen Ingenieure endet. Konrad Zuse hat einst den ersten Computer erfunden, doch im Silicon Valley glänzen nur wenige Deutsche.
Hastings Na gut, aber ich als Amerikaner fahre einen Mercedes, also ist doch alles gut! (Lacht). Im Ernst: Jedes Land fragt sich natürlich, was seine Stärken und Schwächen sind. Aber die deutsche Wirtschaft brummt doch. Kein Grund zu Selbstzweifeln.
Mit welcher Firma würden Sie Netflix vergleichen?
Hastings Hm, da muss ich passen. Es gibt viele großartige Firmen auf der Welt, aber mir fällt keine ein, die man direkt vergleichen könnte. Am ehesten noch HBO (der Pay-TV-Anbieter, der Serien wie "Game of Thrones" produziert und vertreibt; Anmerkung der Redaktion).
Was halten Sie von Elon Musk?
Hastings Oh Mann... was Elon macht, ist unglaublich. Er treibt so vieles voran: Solarzellen, Elektroautos und Raketen, dazu tüfteln seine Leute an "Hyperloop", einer überschallschnellen U-Bahn durch ein vakuumgefülltes Tunnelsystem. (Lacht) Der spielt in einer anderen Liga. Wir bei Netflix haben nur ein einziges Geschäftsfeld.
Was sind die größten Herausforderungen für Sie?
Quelle; rp-online
In den ersten zehn Jahren seines Bestehens war der heutige Online-Gigant Netflix mit 93 Millionen zahlenden Kunden vor allem offline aktiv. Die Firma versendete Leih-DVDs per Post quer durch die USA. Seit 2007 lässt Netflix seine Kunden eine große Auswahl von Spielfilmen, TV-Serien und Dokumentationen streamen. Seit 2014 klappt das auch in Deutschland, seit 2016 in jedem Land der Welt bis auf China, Syrien und Nordkorea. Der Gründer und Konzernchef Reed Hastings (56), ist erschöpft von einer PR-Reise durch Europa, aber gut gelaunt.
Warum sitze ich hier Ihnen gegenüber? Damit meine ich: Warum gibt es nur so wenige Deutsche, die mit Start-Ups erfolgreich sind?
Hastings Ach, so wenige sind es doch gar nicht. Soundcloud ist doch ein deutsches Start-Up, oder nicht?
Soundcloud wurde in Berlin gegründet – allerdings von einem Schweden und einem Briten. Ich sorge mich, dass die Tradition der deutschen Ingenieure endet. Konrad Zuse hat einst den ersten Computer erfunden, doch im Silicon Valley glänzen nur wenige Deutsche.
Hastings Na gut, aber ich als Amerikaner fahre einen Mercedes, also ist doch alles gut! (Lacht). Im Ernst: Jedes Land fragt sich natürlich, was seine Stärken und Schwächen sind. Aber die deutsche Wirtschaft brummt doch. Kein Grund zu Selbstzweifeln.
Mit welcher Firma würden Sie Netflix vergleichen?
Hastings Hm, da muss ich passen. Es gibt viele großartige Firmen auf der Welt, aber mir fällt keine ein, die man direkt vergleichen könnte. Am ehesten noch HBO (der Pay-TV-Anbieter, der Serien wie "Game of Thrones" produziert und vertreibt; Anmerkung der Redaktion).
Was halten Sie von Elon Musk?
Hastings Oh Mann... was Elon macht, ist unglaublich. Er treibt so vieles voran: Solarzellen, Elektroautos und Raketen, dazu tüfteln seine Leute an "Hyperloop", einer überschallschnellen U-Bahn durch ein vakuumgefülltes Tunnelsystem. (Lacht) Der spielt in einer anderen Liga. Wir bei Netflix haben nur ein einziges Geschäftsfeld.
Was sind die größten Herausforderungen für Sie?
Hastings Ich kann nicht voraussehen, was in einem Jahr sein wird, geschweige denn in fünf oder zehn. Wir sind dazu verdammt, lernwillig und flexibel zu bleiben. Wir wissen eigentlich nur, dass wir weiter wachsen wollen, mehr Filme und Serien anbieten, vor allem immer mehr selbst produzierte. Wie genau das klappen kann, wissen wir nicht.
Jedenfalls können Sie für sich in Anspruch nehmen, das "Binge-Watching" erfunden zu haben: Sie stellen alle Folgen der neuen Staffel einer Serie gleichzeitig online, sodass man sie alle hintereinander gucken kann.
Hastings Eigentlich ist das zu viel der Ehre. Bücher wurden ja schon immer auf diese Art verschlungen – weil man sich nicht davon losreißen kann, egal ob spät nachts im Bett oder am Strand. Wir haben dieses Prinzip des "Jederzeit und überall" nur auf TV-Serien übertragen.
Mittlerweile kaufen Sie nicht nur Lizenzen, sondern finanzieren auch Neuproduktionen, teils sogar komplett von Anfang bis Ende.
Hastings Ja, 2012 haben wir angefangen mit "Lilyhammer", acht Folgen à 45 Minuten, sechs Stunden. 2016 haben wir 400 Stunden eigenes Programm veröffentlicht, 2017 werden es weitere 1.000 Stunden sein.
Das kostet viel Geld. Sechs Milliarden Dollar werden Sie im laufenden Jahr für Inhalte ausgeben, zwei Milliarden davon leihen Sie sich auf dem Schuldenmarkt.
Hastings Unsere Aktionäre unterstützen diesen Kurs komplett. In den USA sind wir zehn Jahre in Folge gewachsen, aber dasselbe gilt für Amazon Prime sowie HBO und Hulu. Bislang gibt es keinen echten Verdrängungswettbewerb, weil die Nachfrage so stark wächst. Dieses Jahr werden wir etwa zehn Milliarden Dollar Umsatz machen. Sechs Milliarden für Inhalte auszugeben, ergibt doch Sinn. Unsere Abonnenten zahlen 10 Dollar oder Euro pro Monat. Wir versuchen, dieses Geld so effizient wie nur irgend möglich umzuwandeln in Freude beim Schauen unserer Inhalte.
Glauben Sie, dass diese 9,99 Dollar oder eben Euro ein Schwellenpreis sind, den Sie nicht überschreiten dürfen, ohne viele Abonnenten zu verlieren?
Hastings Nein, es ist ohnehin ein kurioser Zufall, dass Dollar und Euro derzeit fast gleich viel wert sind. In anderen Ländern der Welt ist der monatliche Beitrag ohnehin nicht so rund, denken Sie an türkische Lire oder argentinische Pesos. Eine Preisgarantie geben wir nicht.
Wie empfinden Sie den deutschen Markt? Es gibt hier keine starke Pay-TV-Tradition und die öffentlich-rechtlichen Sender dürfen den Großteil ihrer Inhalte nicht lange online stellen. Das dürfte Ihnen gelegen kommen...
Hastings Jein. Einerseits haben Sie Recht, außerdem sehen die Deutschen zum Glück vergleichswenig wenige Filme und Serien illegal. Andererseits sind sie es auch gewohnt, nichts für relativ gutes Programm bezahlen zu müssen. ARD, ZDF und Co. sind ja mit Milliarden Euro besser finanziert als die BBC, so gut wie kein anderer öffentlich-rechtlicher Rundfunk der Welt! Aber die Deutschen hassen auch Werbeunterbrechungen mehr als die Menschen im Rest der Welt. Dass es bei Netflix keine gibt und auch nie geben wird, zieht als Verkaufsargument.
Was sind schwierige Märkte für Sie?
Hastings Paraguay oder Argentinien zum Beispiel – extrem hohe Inflationsraten, schwieriger Zahlungsverkehr... Teils gibt es auch gesetzliche Hürden, in Frankreich etwa sind Kinofilme gesetzlich geschützt, weil die Kinobetreiber eine sehr starke politische Lobby haben. Deshalb dürfen wir unseren französischen Nutzern viele Kinofilme nicht zeigen, aber damit kommen wir klar. Unsere selbst produzierten Filme fallen ja nicht darunter.
Sie nennen keine Zahlen zu Nutzern aus Ländern außerhalb der USA oder auch dazu, wie oft welche Inhalte angeschaut werden. Warum?
Hastings Wenn ich Ihnen solche Zahlen nennen würde, würden Sie sie ja verbreiten (lacht). Wir mögen es, ein Geheimnis darum zu machen, ein paar Mysterien zu bewahren. Auch wenn es letzten Endes vermutlich gar keinen so großen Unterschied macht.
Sie schützen damit auch die Macher Ihrer eigenen Inhalte von Kritik.
Hastings Negative Kritiken erscheinen natürlich trotzdem. Aber manche Stoffe brauchen eben ein wenig, bis sie ihr Publikum finden. Und ich kann Ihnen sagen: Serien wie das etwas operettenhafte "Marseille" mit Gérard Depardieu oder auch unsere Comedyfilme mit Adam Sandler werden häufig gesehen – völlig unabhängig davon, was die Kritiker schreiben und auch davon, wie unsere eigenen Nutzer sie bewerten. Die Leute wissen, was sie da bekommen, und sie mögen es auch, wenn es mal flach und albern ist oder überdramatisch. Ich nenne das "guilty pleasures", kleine Sünden oder Laster, die man sich gönnt. Intern bewerten wir unsere eigenen Inhalte genauso wie eingekaufte. Was zu wenige Zuschauer interessiert, wird abgesetzt. Bei "Marco Polo" zum Beispiel...
...der Serie, die Sie 200 Millionen Euro gekostet haben soll, aber vielen als schwacher Abklatsch von "Game of Thrones" erschien...
Hastings ...war die erste Staffel so beliebt, dass wir eine zweite haben produzieren lassen. Für eine dritte hat es aber nicht gereicht. So einfach ist das. Manchmal sind wir aber auch so begeistert von einer ersten Staffel, dass wir die zweite bestellen, noch bevor das Publikum die erste gesehen hat. "Las Chicas del Cable" ist so ein Fall, eine Serie über Emanzipation durch Arbeit am Beispiel von Telefonistinnen in Madrid 1928.
Netflix hat am Wochenende mit eienr Doku über die syrischen "Weißhelme" seinen ersten Oscar gewonnen und kommt der Marke von 100 Millionen Nutzern immer näher. Wie kämpfen Sie dagegen an, dass sich ein zu großes Zufriedenheitsgefühl einstellt, wenn nicht gar Größenwahn?
Hastings Intern weise ich meine Leute auf Folgendes hin: Im Vergleich mit HBO mögen wir groß sein. Aber Facebook hat 1,87 Milliarden Nutzer, YouTube 2 Milliarden. Ich versuche jeden Tag, eine Perspektive zu vermitteln, nach der wir sehr klein sind.
Das beschwört eine andere Gefahr herauf: Dass Sie zu risikoreich agieren, sich übernehmen...
Hastings Die meisten gescheiterten Firmen sind nicht gescheitert, weil sie zu viel wollten, sondern weil sie zu vorsichtig waren, zu zögerlich. Wir versuchen, immer wieder kreative Risiken einzugehen, also etwa Stoffe zu Filmen oder Serien zu verarbeiten, an die sich sonst niemand wagen würde. "13 Reasons Why" zum Beispiel dreht sich um den Suizid einer Schülerin und dessen Folgen. Dafür werden wir kritisiert, aber wir glauben, dass das eine wichtige Geschichte ist, die eine gesunde Diskussion über dieses Tabuthema auslösen wird.
Im besten Fall, ja. Schlimmstenfalls könnte die Serie psychisch labile Menschen zu Nachahmungstaten inspirieren. So war es auch bei der speziell zur Suizidprävention gedachten deutsche Serie "Tod eines Schülers" in den 1980er Jahren der Fall.
Hastings Ja, dieses Risiko besteht. Aber wir haben natürlich erstens Expertenrat eingeholt, zweitens werden wir nichts trivialisieren oder gar verherrlichen, sondern legen den Fokus absolut auf das Leid der Hinterbliebenen. Und drittens basiert die Serie auf dem gleichnamigen Buch (Deutscher Titel: "Tote Mädchen lügen nicht"), das meines Wissens nach in deutschen Schulen behandelt wird.
In der Vergangenheit haben Sie gesagt, ein Präsident Trump würde viel von dem zerstören, was Amerika großartig macht. Seine umstrittene Einwanderungspolitik nannten Sie "so unamerikanisch, dass es uns allen Schmerzen bereitet". Wie ist Ihre Haltung zur Regierung Trump jetzt?
Hastings Heute habe ich dazu nichts zu sagen.
Schade. Ich habe aber den Eindruck, dass sich in manchen Netflix-Inhalten eine progressive Agenda widerspiegelt, etwa gegen sexistische und rassistische Diskriminierung. Ist das so?
Hastings Unser Ziel ist, Menschen zu unterhalten, nicht die Gesellschaft auf irgendeine Weise zu verändern. Wir wollen Geschichten erzählen über echte Menschen mit echten Problemen. Das kann einen progressiven Einfluss haben, quasi als Nebeneffekt. Aber wir sind keine soziale Bewegung, sondern ein Unternehmen in der Entertainment-Industrie.
Mit Reed Hastings sprach Tobias Jochheim.
Jedenfalls können Sie für sich in Anspruch nehmen, das "Binge-Watching" erfunden zu haben: Sie stellen alle Folgen der neuen Staffel einer Serie gleichzeitig online, sodass man sie alle hintereinander gucken kann.
Hastings Eigentlich ist das zu viel der Ehre. Bücher wurden ja schon immer auf diese Art verschlungen – weil man sich nicht davon losreißen kann, egal ob spät nachts im Bett oder am Strand. Wir haben dieses Prinzip des "Jederzeit und überall" nur auf TV-Serien übertragen.
Mittlerweile kaufen Sie nicht nur Lizenzen, sondern finanzieren auch Neuproduktionen, teils sogar komplett von Anfang bis Ende.
Hastings Ja, 2012 haben wir angefangen mit "Lilyhammer", acht Folgen à 45 Minuten, sechs Stunden. 2016 haben wir 400 Stunden eigenes Programm veröffentlicht, 2017 werden es weitere 1.000 Stunden sein.
Das kostet viel Geld. Sechs Milliarden Dollar werden Sie im laufenden Jahr für Inhalte ausgeben, zwei Milliarden davon leihen Sie sich auf dem Schuldenmarkt.
Hastings Unsere Aktionäre unterstützen diesen Kurs komplett. In den USA sind wir zehn Jahre in Folge gewachsen, aber dasselbe gilt für Amazon Prime sowie HBO und Hulu. Bislang gibt es keinen echten Verdrängungswettbewerb, weil die Nachfrage so stark wächst. Dieses Jahr werden wir etwa zehn Milliarden Dollar Umsatz machen. Sechs Milliarden für Inhalte auszugeben, ergibt doch Sinn. Unsere Abonnenten zahlen 10 Dollar oder Euro pro Monat. Wir versuchen, dieses Geld so effizient wie nur irgend möglich umzuwandeln in Freude beim Schauen unserer Inhalte.
Glauben Sie, dass diese 9,99 Dollar oder eben Euro ein Schwellenpreis sind, den Sie nicht überschreiten dürfen, ohne viele Abonnenten zu verlieren?
Hastings Nein, es ist ohnehin ein kurioser Zufall, dass Dollar und Euro derzeit fast gleich viel wert sind. In anderen Ländern der Welt ist der monatliche Beitrag ohnehin nicht so rund, denken Sie an türkische Lire oder argentinische Pesos. Eine Preisgarantie geben wir nicht.
Wie empfinden Sie den deutschen Markt? Es gibt hier keine starke Pay-TV-Tradition und die öffentlich-rechtlichen Sender dürfen den Großteil ihrer Inhalte nicht lange online stellen. Das dürfte Ihnen gelegen kommen...
Hastings Jein. Einerseits haben Sie Recht, außerdem sehen die Deutschen zum Glück vergleichswenig wenige Filme und Serien illegal. Andererseits sind sie es auch gewohnt, nichts für relativ gutes Programm bezahlen zu müssen. ARD, ZDF und Co. sind ja mit Milliarden Euro besser finanziert als die BBC, so gut wie kein anderer öffentlich-rechtlicher Rundfunk der Welt! Aber die Deutschen hassen auch Werbeunterbrechungen mehr als die Menschen im Rest der Welt. Dass es bei Netflix keine gibt und auch nie geben wird, zieht als Verkaufsargument.
Was sind schwierige Märkte für Sie?
Hastings Paraguay oder Argentinien zum Beispiel – extrem hohe Inflationsraten, schwieriger Zahlungsverkehr... Teils gibt es auch gesetzliche Hürden, in Frankreich etwa sind Kinofilme gesetzlich geschützt, weil die Kinobetreiber eine sehr starke politische Lobby haben. Deshalb dürfen wir unseren französischen Nutzern viele Kinofilme nicht zeigen, aber damit kommen wir klar. Unsere selbst produzierten Filme fallen ja nicht darunter.
Sie nennen keine Zahlen zu Nutzern aus Ländern außerhalb der USA oder auch dazu, wie oft welche Inhalte angeschaut werden. Warum?
Hastings Wenn ich Ihnen solche Zahlen nennen würde, würden Sie sie ja verbreiten (lacht). Wir mögen es, ein Geheimnis darum zu machen, ein paar Mysterien zu bewahren. Auch wenn es letzten Endes vermutlich gar keinen so großen Unterschied macht.
Sie schützen damit auch die Macher Ihrer eigenen Inhalte von Kritik.
Hastings Negative Kritiken erscheinen natürlich trotzdem. Aber manche Stoffe brauchen eben ein wenig, bis sie ihr Publikum finden. Und ich kann Ihnen sagen: Serien wie das etwas operettenhafte "Marseille" mit Gérard Depardieu oder auch unsere Comedyfilme mit Adam Sandler werden häufig gesehen – völlig unabhängig davon, was die Kritiker schreiben und auch davon, wie unsere eigenen Nutzer sie bewerten. Die Leute wissen, was sie da bekommen, und sie mögen es auch, wenn es mal flach und albern ist oder überdramatisch. Ich nenne das "guilty pleasures", kleine Sünden oder Laster, die man sich gönnt. Intern bewerten wir unsere eigenen Inhalte genauso wie eingekaufte. Was zu wenige Zuschauer interessiert, wird abgesetzt. Bei "Marco Polo" zum Beispiel...
...der Serie, die Sie 200 Millionen Euro gekostet haben soll, aber vielen als schwacher Abklatsch von "Game of Thrones" erschien...
Hastings ...war die erste Staffel so beliebt, dass wir eine zweite haben produzieren lassen. Für eine dritte hat es aber nicht gereicht. So einfach ist das. Manchmal sind wir aber auch so begeistert von einer ersten Staffel, dass wir die zweite bestellen, noch bevor das Publikum die erste gesehen hat. "Las Chicas del Cable" ist so ein Fall, eine Serie über Emanzipation durch Arbeit am Beispiel von Telefonistinnen in Madrid 1928.
Netflix hat am Wochenende mit eienr Doku über die syrischen "Weißhelme" seinen ersten Oscar gewonnen und kommt der Marke von 100 Millionen Nutzern immer näher. Wie kämpfen Sie dagegen an, dass sich ein zu großes Zufriedenheitsgefühl einstellt, wenn nicht gar Größenwahn?
Hastings Intern weise ich meine Leute auf Folgendes hin: Im Vergleich mit HBO mögen wir groß sein. Aber Facebook hat 1,87 Milliarden Nutzer, YouTube 2 Milliarden. Ich versuche jeden Tag, eine Perspektive zu vermitteln, nach der wir sehr klein sind.
Das beschwört eine andere Gefahr herauf: Dass Sie zu risikoreich agieren, sich übernehmen...
Hastings Die meisten gescheiterten Firmen sind nicht gescheitert, weil sie zu viel wollten, sondern weil sie zu vorsichtig waren, zu zögerlich. Wir versuchen, immer wieder kreative Risiken einzugehen, also etwa Stoffe zu Filmen oder Serien zu verarbeiten, an die sich sonst niemand wagen würde. "13 Reasons Why" zum Beispiel dreht sich um den Suizid einer Schülerin und dessen Folgen. Dafür werden wir kritisiert, aber wir glauben, dass das eine wichtige Geschichte ist, die eine gesunde Diskussion über dieses Tabuthema auslösen wird.
Im besten Fall, ja. Schlimmstenfalls könnte die Serie psychisch labile Menschen zu Nachahmungstaten inspirieren. So war es auch bei der speziell zur Suizidprävention gedachten deutsche Serie "Tod eines Schülers" in den 1980er Jahren der Fall.
Hastings Ja, dieses Risiko besteht. Aber wir haben natürlich erstens Expertenrat eingeholt, zweitens werden wir nichts trivialisieren oder gar verherrlichen, sondern legen den Fokus absolut auf das Leid der Hinterbliebenen. Und drittens basiert die Serie auf dem gleichnamigen Buch (Deutscher Titel: "Tote Mädchen lügen nicht"), das meines Wissens nach in deutschen Schulen behandelt wird.
In der Vergangenheit haben Sie gesagt, ein Präsident Trump würde viel von dem zerstören, was Amerika großartig macht. Seine umstrittene Einwanderungspolitik nannten Sie "so unamerikanisch, dass es uns allen Schmerzen bereitet". Wie ist Ihre Haltung zur Regierung Trump jetzt?
Hastings Heute habe ich dazu nichts zu sagen.
Schade. Ich habe aber den Eindruck, dass sich in manchen Netflix-Inhalten eine progressive Agenda widerspiegelt, etwa gegen sexistische und rassistische Diskriminierung. Ist das so?
Hastings Unser Ziel ist, Menschen zu unterhalten, nicht die Gesellschaft auf irgendeine Weise zu verändern. Wir wollen Geschichten erzählen über echte Menschen mit echten Problemen. Das kann einen progressiven Einfluss haben, quasi als Nebeneffekt. Aber wir sind keine soziale Bewegung, sondern ein Unternehmen in der Entertainment-Industrie.
Mit Reed Hastings sprach Tobias Jochheim.
Quelle; rp-online