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16.07.2012
Drei Millionen Menschen in Deutschland können von ihrem Verdienst nicht leben
Zwieback statt Zwiebelbraten: Trotz blühender Wirtschaft und niedriger Arbeitslosenzahlen können in Bayern immer weniger Menschen von ihrer Arbeit oder Rente leben. Jeder siebte ist von der Armut betroffen.
»Ich arbeite gern, auch wenn letztendlich finanziell nichts für mich rausspringt«, sagt Petra Köberlein. Das gelernte Zimmermädchen lacht verlegen: »Es ist verrückt, aber ich glaube, es ist so.« Über 20 Jahre war die 54-Jährige in einem Münchner Hotel angestellt - bis die Hotelleitung beschloss, die Zimmer von Leiharbeitern putzen zu lassen. Aus Angst vor der Arbeitslosigkeit wechselte Köberlein in die Zeitarbeitsfirma - und verdient jetzt in einem Vollzeitjob weniger, als würde sie Hartz-IV beziehen.
Petra Köberlein ist kein Einzelfall. Drei Millionen Menschen in Deutschland können von dem, was sie verdienen, nicht leben, schätzt Soziologe Philip Büttner vom Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt (KDA). Einige werden deshalb zu »Aufstockern«: »Das sind Erwerbstätige, die mit ihrem Einkommen unter dem Existenzminimum bleiben und deswegen zusätzliche Sozialleistungen vom Staat bekommen«, erklärt Büttner. Viele nehmen den Zuschuss jedoch nicht in Anspruch - wie Petra Köberlein. Zu viele unangenehme Erfahrungen hat sie mit dem Arbeitsamt gemacht, zu viele Formalitäten, zu schlechte Behandlung.
Auch der Bundesverband Deutsche Tafel bestätigt den Anstieg Bedürftiger. Die Zahl der Menschen, die sich dort regelmäßig kostenlos Lebensmittel holen, hat sich seit 2005 verdreifacht - auf 1,5 Millionen Hilfsbedürftige. »Aktuell bedeutet Arbeit zu haben oder lange gearbeitet zu haben nicht mehr, vor Armut geschützt zu sein«, sagt der Tafel-Vorsitzende Gerd Häuser. Er fordert deshalb eine gerechtere Sozial- und Steuerpolitik.
In Bayern sind 13,8 Prozent der Bevölkerung, also jeder siebte, laut Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (LAGFW) offiziell von Armut betroffen. Die Dunkelziffer liege weit höher. »Mit den Prinzipien eines Sozialstaats sind diese Zahlen unvereinbar«, erklärt der LAGFW-Vorsitzender Thomas Beyer anlässlich der bayerischen Armutskonferenz vergangenen Donnerstag in München. Mehr als die Hälfte der Bezieher sind Frauen, vor allem über 65. »Wir dürfen nicht hinnehmen, dass Alleinerziehende, Migranten, Ältere, Frauen und Menschen mit Behinderung keine Arbeit finden, von der sie sich und ihren Angehörigen ein Leben finanzieren können«, betont Beyer, der auch Sprecher der Nationalen Armutskonferenz ist.
Bei dem Problem Armut trotz Arbeit ist Leiharbeit ein wesentlicher Faktor. Zwar gibt es hier seit Anfang dieses Jahres einen gesetzlichen Mindestlohn - 7,01 Euro/Stunde im Osten, 7,89 im Westen -, der das Leben für einige Zeitarbeiter verbessert hat. »Dennoch verdient ein Leiharbeiter bei gleicher Qualifikation durchschnittlich 20 Prozent weniger als die Stammbelegschaft«, kritisiert KDA Bayern-Sprecher Büttner. Und das, obwohl er viel flexibler sein muss als der Festanstellte.
Schlechte Aussichten verheißt auch der aktuelle Bericht der Bundesagentur für Arbeit: Demnach hat sich die Zahl der verliehenen Fachkräfte aus Gesundheits- und Pflegeberufen von 2005 bis 2011 um mehr als 400 Prozent auf 16.350 erhöht. Das sei eine mehr als bedenkliche Entwicklung, betont Sabine Zimmermann, arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag. Ihre Partei fordert deshalb die komplette Abschaffung der Niedriglohnbeschäftigung in Form der Leiharbeit.
Die SPD forderte diese Woche einen Mindestlohn von 8,50 Euro und Arbeitsverträge für Minijobs. Der Vertrag müsse die Stundenzahl, den bezahlten Urlaub, den Anspruch auf weitere Lohnzahlung im Krankheitsfall, Kündigungsfristen und die Höhe des Arbeitslohns regeln, sagte die stellvertretende SPD-Vorsitzende Manuela Schwesig. Der Großteil der Minijobber sind Frauen. Durch die niedrigen Löhne hätten sie »keine soziale Absicherung und sind im Alter von Armut bedroht«, so Schwesig. Sie lehnt deshalb die von der Koalition geplante Anhebung der Einkommensgrenze für Minijobs ab.
Vor allem an Kleidung, Möbeln und Reisen sparen arme Menschen, ergab eine repräsentative Studie im Auftrag des Münchner Sozialreferats. Aber auch an Kino, Café- und Wirtshausbesuchen. Da wundert es nicht, wenn die Betroffenen sich aus der Gesellschaft ausgeschlossen fühlen, wie Sozialreferentin Brigitte Meier beschreibt.
Auch Petra Köberlein fühlt sich ausgenutzt und betrogen: um Wertschätzung und um Geld. »Es ist einfach nicht in Ordnung, wenn man arbeitet und sein Bestes gibt und dann 600 Euro im Monat hat«, sagt sie. Wie sie als Renterin einmal ihre Miete bezahlen wird, daran will die dünne Frau mit den grauen Haaren heute nicht denken. Stattdessen schlägt sie sich irgendwie durch. Und bietet ihre Hilfe an: »Wer wissen will, wie man sparsam lebt, der kann mich gerne fragen - ich kann wirklich gut wirtschaften.«
Quelle: sonntagsblatt-bayern.de
16.07.2012
Drei Millionen Menschen in Deutschland können von ihrem Verdienst nicht leben
Zwieback statt Zwiebelbraten: Trotz blühender Wirtschaft und niedriger Arbeitslosenzahlen können in Bayern immer weniger Menschen von ihrer Arbeit oder Rente leben. Jeder siebte ist von der Armut betroffen.
»Ich arbeite gern, auch wenn letztendlich finanziell nichts für mich rausspringt«, sagt Petra Köberlein. Das gelernte Zimmermädchen lacht verlegen: »Es ist verrückt, aber ich glaube, es ist so.« Über 20 Jahre war die 54-Jährige in einem Münchner Hotel angestellt - bis die Hotelleitung beschloss, die Zimmer von Leiharbeitern putzen zu lassen. Aus Angst vor der Arbeitslosigkeit wechselte Köberlein in die Zeitarbeitsfirma - und verdient jetzt in einem Vollzeitjob weniger, als würde sie Hartz-IV beziehen.
Petra Köberlein ist kein Einzelfall. Drei Millionen Menschen in Deutschland können von dem, was sie verdienen, nicht leben, schätzt Soziologe Philip Büttner vom Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt (KDA). Einige werden deshalb zu »Aufstockern«: »Das sind Erwerbstätige, die mit ihrem Einkommen unter dem Existenzminimum bleiben und deswegen zusätzliche Sozialleistungen vom Staat bekommen«, erklärt Büttner. Viele nehmen den Zuschuss jedoch nicht in Anspruch - wie Petra Köberlein. Zu viele unangenehme Erfahrungen hat sie mit dem Arbeitsamt gemacht, zu viele Formalitäten, zu schlechte Behandlung.
Auch der Bundesverband Deutsche Tafel bestätigt den Anstieg Bedürftiger. Die Zahl der Menschen, die sich dort regelmäßig kostenlos Lebensmittel holen, hat sich seit 2005 verdreifacht - auf 1,5 Millionen Hilfsbedürftige. »Aktuell bedeutet Arbeit zu haben oder lange gearbeitet zu haben nicht mehr, vor Armut geschützt zu sein«, sagt der Tafel-Vorsitzende Gerd Häuser. Er fordert deshalb eine gerechtere Sozial- und Steuerpolitik.
In Bayern sind 13,8 Prozent der Bevölkerung, also jeder siebte, laut Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (LAGFW) offiziell von Armut betroffen. Die Dunkelziffer liege weit höher. »Mit den Prinzipien eines Sozialstaats sind diese Zahlen unvereinbar«, erklärt der LAGFW-Vorsitzender Thomas Beyer anlässlich der bayerischen Armutskonferenz vergangenen Donnerstag in München. Mehr als die Hälfte der Bezieher sind Frauen, vor allem über 65. »Wir dürfen nicht hinnehmen, dass Alleinerziehende, Migranten, Ältere, Frauen und Menschen mit Behinderung keine Arbeit finden, von der sie sich und ihren Angehörigen ein Leben finanzieren können«, betont Beyer, der auch Sprecher der Nationalen Armutskonferenz ist.
Bei dem Problem Armut trotz Arbeit ist Leiharbeit ein wesentlicher Faktor. Zwar gibt es hier seit Anfang dieses Jahres einen gesetzlichen Mindestlohn - 7,01 Euro/Stunde im Osten, 7,89 im Westen -, der das Leben für einige Zeitarbeiter verbessert hat. »Dennoch verdient ein Leiharbeiter bei gleicher Qualifikation durchschnittlich 20 Prozent weniger als die Stammbelegschaft«, kritisiert KDA Bayern-Sprecher Büttner. Und das, obwohl er viel flexibler sein muss als der Festanstellte.
Schlechte Aussichten verheißt auch der aktuelle Bericht der Bundesagentur für Arbeit: Demnach hat sich die Zahl der verliehenen Fachkräfte aus Gesundheits- und Pflegeberufen von 2005 bis 2011 um mehr als 400 Prozent auf 16.350 erhöht. Das sei eine mehr als bedenkliche Entwicklung, betont Sabine Zimmermann, arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag. Ihre Partei fordert deshalb die komplette Abschaffung der Niedriglohnbeschäftigung in Form der Leiharbeit.
Die SPD forderte diese Woche einen Mindestlohn von 8,50 Euro und Arbeitsverträge für Minijobs. Der Vertrag müsse die Stundenzahl, den bezahlten Urlaub, den Anspruch auf weitere Lohnzahlung im Krankheitsfall, Kündigungsfristen und die Höhe des Arbeitslohns regeln, sagte die stellvertretende SPD-Vorsitzende Manuela Schwesig. Der Großteil der Minijobber sind Frauen. Durch die niedrigen Löhne hätten sie »keine soziale Absicherung und sind im Alter von Armut bedroht«, so Schwesig. Sie lehnt deshalb die von der Koalition geplante Anhebung der Einkommensgrenze für Minijobs ab.
Vor allem an Kleidung, Möbeln und Reisen sparen arme Menschen, ergab eine repräsentative Studie im Auftrag des Münchner Sozialreferats. Aber auch an Kino, Café- und Wirtshausbesuchen. Da wundert es nicht, wenn die Betroffenen sich aus der Gesellschaft ausgeschlossen fühlen, wie Sozialreferentin Brigitte Meier beschreibt.
Auch Petra Köberlein fühlt sich ausgenutzt und betrogen: um Wertschätzung und um Geld. »Es ist einfach nicht in Ordnung, wenn man arbeitet und sein Bestes gibt und dann 600 Euro im Monat hat«, sagt sie. Wie sie als Renterin einmal ihre Miete bezahlen wird, daran will die dünne Frau mit den grauen Haaren heute nicht denken. Stattdessen schlägt sie sich irgendwie durch. Und bietet ihre Hilfe an: »Wer wissen will, wie man sparsam lebt, der kann mich gerne fragen - ich kann wirklich gut wirtschaften.«
Quelle: sonntagsblatt-bayern.de