"Das Netflix für Games" ist noch lange nicht Netflix
Nach zahlreichen Ankündigungen geht Netflix unter die Spiele-Publisher. Das Angebot zum Auftakt enttäuscht aber beim Probespielen.
Wenn ein neuer Abodienst daherkommt, wird der oft zum neuen "Netflix für ..." erkoren. Eine praktische Beschreibung - immerhin weiß fast jeder, wie der Streamingdienst funktioniert, den weltweit mehr als 200 Millionen Menschen abonniert haben. Doch wer vergleichbare Abos für Spiele wie den Game Pass oder Apple Arcade auch in Zukunft noch als das "Netflix für Spiele" beschreibt, könnte Verwirrung stiften.
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Nach einer Testphase in Polen und Spanien öffnet Netflix seine eigene brandneue Games-Kategorie nun für die Nutzerschaft auf der ganzen Welt, zumindest die mit einem Android-Handy. Damit steigt das Unternehmen selbst in das Geschäft mit den Spiele-Abos ein. Wer schon Kunde ist, findet im Menü der App nun den prominent platzierten Reiter "Games".
Wie funktionieren die Spiele auf Netflix - und sind sie so gut wie die Serien?
Stranger Things als Retrogame
Statt großer Storys für den Fernseher gibt es die Spiele nur auf dem kleinen Bildschirm. Fünf Titel werden zum Start auf Android-Geräten angeboten. Neben dem 2020 auch für PC und Konsolen erschienenen Stranger Things 3: The Game ist mit Stranger Things: 1984 eine weitere Verweichlichung der Erfolgsserie dabei. Und die ist ebenso nostalgisch wie das Original.
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- Stranger Things 1984 ist kein völlig neuer Titel, sondern wurde passend zur dritten Staffel der Serie auch auf PC und Konsolen veröffentlicht.
- (Quelle: Netflix/Screenshot: Golem.de)
Mit einer Gruppe aus Serienfiguren, darunter Hopper, Mike und Lucas, erkunden Spieler darin bekannte Schauplätze. Wer sich auf das freie Erkunden der fiktiven Kleinstadt Hawkins freut, wird enttäuscht. Stattdessen werden Wachen bekämpft und Rätsel gelöst.
Das Ganze sieht mit seiner Pixelgrafik aus der Vogelperspektive nicht nur optisch wie ein Spiel aus den 80er Jahren aus. Trotz intuitiver Touchscreen-Steuerung spielt sich Stranger Things: 1984 wie der Klon eines frühen Teils der Legend-of-Zelda-Reihe.
Hyper Casual statt Squid Games
Zu den beiden Stranger-Things-Titeln kommen drei ausgesprochen simple Mobilegames, die so gar nicht zum Image des Produzenten von opulenten Hits wie Squid Game passen.
Card Blast ist ein Kartenspiel in kunterbunter Kaugummioptik, bei dem seitlich ins Bild fliegende Spielkarten zu Paaren, Full Houses oder Flushes gelegt werden müssen. Das Grundprinzip wird mit Kombos, Highscores und Spezialmanövern angereichert, bleibt im Kern aber ein altbekanntes Kombinationsspiel.
Die Geschicklichkeitsspiele Shootings Hoops und Teeter vom Entwickler Frosty Pop sind noch einfachere Hyper Casual Games, die ganz darauf ausgelegt sind, jede freie Sekunde mit einer Runde am Smartphone-Bildschirm zu verdaddeln.
In Teeter muss ein Ball in ein Loch balanciert werden, indem ein Balken langsam nach oben verschoben wird. Tap links, Tap rechts - die Interaktion beschränkt sich auf zwei abwechselnd den Bildschirm berührende Fingerspitzen.
Shooting Hoops ist etwas actionreicher, den Basketball in den Korb zu befördern, spielt sich aber dennoch recht ähnlich.
Spiele wie diese gibt es in den Appstores zuhauf, hier kommen sie aber ohne aufdringliche Werbung oder fragwürdige Monetarisierung aus - immerhin sind alle Spiele schon mit dem Netflix-Abonnement bezahlt und darüber hinaus kostenlos. Das ist für ein paar Minuten unterhaltsam, aber weit von den hochwertigeren Mobilegames entfernt, wie sie etwa Apple Arcade verspricht, das für das exklusive Fantasian den Final-Fantsy-Schöpfer Hironobu Sakaguchi angeheuert hat.
Kein App Store im App Store
In Konkurrenz zu Apple Arcade steht Netflix vorerst aber ohnehin nicht, auf iOS ist keines der Spiele bisher verfügbar. Das liegt am ungewöhnlichen Weg, über den die Spiele installiert werden.
a Netflix auf das umstrittene Sideloading vorbei an den Sicherheitsmechanismen des Betriebssystems verzichtet, wählt man ein Spiel in der Netflix-App aus und wird von dort in den Google Play Store gelenkt. Im Spiel muss man sich wiederum mit seinem Netflix-Account einloggen, damit das Spiel auch startet.
Elegant ist dieser Umweg über mehrere Apps nicht und außerdem vorerst nur auf Geräten mit Android möglich. IOS bleibt außen vor, ebenso Smart-TVs und Laptops. Die Übertragung eines Spiels per Videostream, wie etwa bei Geforce Now oder Stadia, könnte Abhilfe schaffen und das Spieleangebot von Netflix langfristig bequem auf alle Plattformen bringen. So lange fühlt sich das Spielen mit Netflix auch nach Ende der regional begrenzten Beta noch wie eine Testphase an.
Erste Versuche, erste Probleme
Erste Versuche mit interaktiven Inhalten hat der Streaminganbieter in der Vergangenheit schon mit seinen hauseigenen Produktionen gemacht. Die Episode Bandersnatch der Science-Fiction-Serie Black Mirror handelte nicht nur von einem Spieleentwickler, sondern ließ das Publikum in einem interaktiven Film mitbestimmen, wie die Handlung weitergehen soll. Im vergangenen Jahr wiederholte Netflix dieses Experiment mit dem Staffelfinale von The Unbreakable Kimmy Schmidt.
Dabei sammelte das Unternehmen auch erste negative Erfahrungen. Eine Kooperation mit dem Spieleentwickler Telltale Games endete im Jahr 2018 abrupt mit der Insolvenz des Studios. Gemeinsam mit den Machern von The Walking Dead und Tales from the Borderlands war nicht nur eine Portierung ihres Minecraft-Adventures geplant, sondern auch eine Adaption des Netflix-Hits Stranger Things. Aus beidem wurde nichts.
Die wertvollste Ressource ist unsere Aufmerksamkeit
Netflix hat eine enorme Kundschaft und entsprechend viel zu verlieren. Die Wachstumskurve bei den Neuanmeldungen ist über die vergangenen Quartale langsam abgeflacht. Die wertvolle Aufmerksamkeit der Kundschaft, die Netflix an Spiele verliert, will der Streaminganbieter nun zurückerobern. Das erklärt auch die kurzweiligen Spielchen auf dem Smartphone - womit sonst könnte man seine Kundschaft besser in die eigene App locken, wenn sie sich in der Warteschlange an der Supermarktkasse langweilen?
Vom Smartphone über die Spielekonsole bis zum Smart-TV ist Netflix auf allem vertreten, was einen Bildschirm hat und kämpft dennoch mit wachsender Konkurrenz. CEO Reed Hastings sieht diese aber weniger bei anderen Videoangeboten wie Disney+, sondern im Multiplayer-Shooter Fortnite - solche Zeitfresser seien es, die die Aufmerksamkeit der potenziellen Kundschaft wegschnappten.
Sicher ist, dass Netflix noch große Pläne hat und sich nicht mehr nur auf externe Partner wie Telltale oder Frosty Pop verlassen will. Erst im September kaufte Netflix Night School Studio, eine Firma ehemaliger Telltale-Mitarbeiter. Vor dem Kauf gab es Berichte darüber, deren Teenager-Grusel-Abenteuer Oxenfree solle als Serie umgesetzt werden. Jetzt wäre es verwunderlich, sollte diese irgendwo anders als exklusiv bei Netflix selbst erscheinen - oder zumindest die für 2022 angekündigte Fortsetzung.
Wird Netflix selbst das "Netflix für Spiele"?
Dass ein so dominanter Inhalteanbieter wie Netflix in die Gamesbranche einsteigt, gab schon im Vorfeld viel Anlass zur Spekulation. Umso ernüchternder ist das tatsächliche Angebot, jetzt, wo es endlich da ist. Statt wie ein mutiger Vorstoß wirken Stranger Things: 1984, Shooting Hoops und Card Blast wie ein übervorsichtiges Herantasten. Sollte Netflix seinen Ambitionen in Zukunft gerecht werden, wird sich bald niemand mehr an diese Pilotprojekte erinnern.
Aber anders als beim Streaming von Serien und Filmen ist Netflix diesmal kein Vorreiter, sondern muss ordentlich aufholen. Google und Apple bieten werbefreie Mobilegames an, Nvidia und Microsoft streamen Spiele aus der Cloud, Sony und Nintendo locken Spielerinnen und Spieler mit Abodiensten. Bis Netflix selbst das "Netflix für Spiele" wird, ist es noch ein langer Weg - und der erste Schritt in diese Richtung erweckt nicht den Eindruck, man habe es besonders eilig.
Quelle; golem