App gegen Komasaufen: Herzmassagen aus dem Handy
Die Grenzen kennen? Weit gefehlt. Immer wieder trinken sich Jugendliche mit Schnaps und Mixgetränken bis in die Bewusstlosigkeit. Eine Smartphone-App will das verhindern. Die kostenlose Anwendung klärt auf und hilft im Notfall bei der Wiederbelebung. Sie könnte Leben retten.
Fotostrecken: http://www.spiegel.de/fotostrecke/a...e-bei-der-ersten-hilfe-fotostrecke-95551.html
Die Frau aus dem Smartphone klingt mechanisch: "Ich gebe jetzt den Takt vor, jetzt, jetzt, jetzt", schnarrt es aus dem Lautsprecher. Sie kommandiert den Rhythmus für die Herzdruckmassage, im Ernstfall soll sie Jugendlichen helfen, Freunde zu reanimieren. Ihre junge Stimme gehört zu "HaLT Alkohol Notfall", der ersten deutschsprachigen Präventions-App gegen harten Alkoholkonsum. Jugendliche könnten mit der Anwendung betrunkene Gleichaltrige aus der Ohnmacht holen. Oder verhindern, dass es überhaupt so weit kommt.
Das umgangssprachlich als Komasaufen bekannte Phänomen, bei dem Jugendliche bis zur Alkoholvergiftung trinken, hat in den letzten Jahren immer weiter zugenommen. Laut Statistischem Bundesamt wurden 2011 insgesamt 26.349 Kinder und Jugendliche im Alter von zehn bis 20 Jahren mit dem Verdacht auf eine Alkoholvergiftung in deutsche Krankenhäuser eingeliefert. 2005 waren es noch deutlich unter 20.000 - seitdem ist die Zahl jedes Jahr gestiegen. Dabei wissen längst nicht alle Teenager, dass schon wenige Schlucke Hochprozentiges in die Notaufnahme führen können. Die Folgen für die Gesundheit sind beträchtlich: Komasäufer lernen schlechter und riskieren Hirnschäden.
Die Android-App, entwickelt von Sabine Kowalewski von der Fachstelle für Sucht und Suchtprävention in Herzberg im Harz und Stefan Buchwald von der Jugendpflege Stadt Bad Lauterberg, will das verhindern. Sie soll den jungen Nutzern einen praktischen Leitfaden für Notfallsituationen mit auf den Weg geben, im Februar belegte sie beim Wettbewerb Alkoholprävention der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung den zweiten Platz. "Im Gegensatz zu einer Broschüre können wir mit der App die Jugendlichen viel besser erreichen, denn ihr Smartphone haben die immer dabei", sagt Kowalewski.
Aufklärung über falsche Stammtischmythen
Im Ernstfall bleibt häufig kaum Zeit zum Nachdenken. Das "jetzt, jetzt, jetzt" der App-Stimme erklingt auch dann, wenn der Nutzer sein Handy auf lautlos gestellt hat. So lange, bis der Notarzt da ist, den die App automatisch verständigt. Bevor der Notruf rausgeht, müssen die Helfer mehrere Fragen beantworten: Reagiert dein Freund/ deine Freundin auf Ansprache? Wenn nicht: Atmet dein Freund/ deine Freundin noch? Ist das der Fall, erfährt der Helfer erst, wie er seinen Freund in die stabile Seitenlage bringt. Stellen die Jugendlichen keine Atmung fest, wählt die App sofort den Notruf. "Viele können nicht einmal richtig einschätzen, wann eine Vergiftung vorliegen könnte und Hilfe geholt werden muss", sagt Kowalewski.
Neben dem Notfallplan gibt die App Tipps für den moderaten Umgang mit Alkohol. Regeln wie "Ich trinke nichts Hochprozentiges, keinen Schnaps oder Mixgetränke wie Wodka O." sollen den Absturz von vornherein verhindern. In einem Spiel können die Jugendlichen zusätzlich ihr Verhalten in einer typischen Partynacht simulieren. Dabei werden sie belohnt, wenn sie Betrunkenen helfen - mit Coolnesspunkten. "Wir wollten nicht mit dem erhobenen Zeigefinger dastehen, sondern den Jugendlichen mehr Verantwortungsgefühl mit auf den Weg geben", erklärt Kowalewski.
Weitere Informationen bietet ein Quiz. Dort werden auch unter Erwachsenen häufig verbreitete Stammtischmythen wie "Alkohol kann man ausschwitzen" oder "Kalt duschen macht wieder nüchtern" widerlegt. "Jugendliche wissen oft erschreckend wenig über Alkohol", sagt Kowalewski. Das sieht auch Johannes Thrul so. Der Psychologe vom Institut für Therapieforschung in München hält das Gratisangebot für sinnvoll. "Die Entwickler haben ein Instrument gewählt, das einen guten Zugang zur Zielgruppe verspricht und auf das in Notfällen per Smartphone zugegriffen werden kann", sagt Thrul, der vor allem das Notfallkit lobt. "Man kann nicht davon ausgehen, dass schon jeder junge Mensch einen Erste-Hilfe-Kurs absolviert hat", so Thrul.
App bald auch für das iPhone erhältlich
Im Gegensatz zu Broschüren, wie sie zum Teil tausendfach für teure Kampagnen gedruckt werden, holt die App die Jugendlichen da ab, wo sie sich eh aufhalten: Im Internet bei Facebook, Twitter oder eben auf dem Smartphone. "Deshalb nutze ich auch soziale Netzwerke für die Präventionsarbeit. Hier können wir die Jugendlichen erreichen und an ihnen dranbleiben. Viele Kollegen beschäftigen sich zu wenig damit", sagt Sabine Kowalewski.
Die ehemalige Gymnasiallehrerin hat gezeigt, dass erfolgreiche Prävention auch ohne viel Geld möglich ist. Bisher wurde die App mehr als 1800-mal runtergeladen - obwohl sie laut Kowalewski nur mit sehr geringen finanziellen Mitteln und vielen ehrenamtlichen Helfern umgesetzt wurde. Deshalb mussten Abstriche im Design gemacht werden - vor allem beim Spiel. "Hier gibt es noch Verbesserungspotential, das könnte ansprechender gestaltet sein", glaubt Thrul. Kowalewski will nachbessern. Mit dem Preisgeld aus dem Wettbewerb soll die App noch einmal überarbeitet werden. Und dann soll sie endlich auch für das iPhone erhältlich sein.
Quelle: spiegel
Die Grenzen kennen? Weit gefehlt. Immer wieder trinken sich Jugendliche mit Schnaps und Mixgetränken bis in die Bewusstlosigkeit. Eine Smartphone-App will das verhindern. Die kostenlose Anwendung klärt auf und hilft im Notfall bei der Wiederbelebung. Sie könnte Leben retten.
Fotostrecken: http://www.spiegel.de/fotostrecke/a...e-bei-der-ersten-hilfe-fotostrecke-95551.html
Die Frau aus dem Smartphone klingt mechanisch: "Ich gebe jetzt den Takt vor, jetzt, jetzt, jetzt", schnarrt es aus dem Lautsprecher. Sie kommandiert den Rhythmus für die Herzdruckmassage, im Ernstfall soll sie Jugendlichen helfen, Freunde zu reanimieren. Ihre junge Stimme gehört zu "HaLT Alkohol Notfall", der ersten deutschsprachigen Präventions-App gegen harten Alkoholkonsum. Jugendliche könnten mit der Anwendung betrunkene Gleichaltrige aus der Ohnmacht holen. Oder verhindern, dass es überhaupt so weit kommt.
Das umgangssprachlich als Komasaufen bekannte Phänomen, bei dem Jugendliche bis zur Alkoholvergiftung trinken, hat in den letzten Jahren immer weiter zugenommen. Laut Statistischem Bundesamt wurden 2011 insgesamt 26.349 Kinder und Jugendliche im Alter von zehn bis 20 Jahren mit dem Verdacht auf eine Alkoholvergiftung in deutsche Krankenhäuser eingeliefert. 2005 waren es noch deutlich unter 20.000 - seitdem ist die Zahl jedes Jahr gestiegen. Dabei wissen längst nicht alle Teenager, dass schon wenige Schlucke Hochprozentiges in die Notaufnahme führen können. Die Folgen für die Gesundheit sind beträchtlich: Komasäufer lernen schlechter und riskieren Hirnschäden.
Die Android-App, entwickelt von Sabine Kowalewski von der Fachstelle für Sucht und Suchtprävention in Herzberg im Harz und Stefan Buchwald von der Jugendpflege Stadt Bad Lauterberg, will das verhindern. Sie soll den jungen Nutzern einen praktischen Leitfaden für Notfallsituationen mit auf den Weg geben, im Februar belegte sie beim Wettbewerb Alkoholprävention der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung den zweiten Platz. "Im Gegensatz zu einer Broschüre können wir mit der App die Jugendlichen viel besser erreichen, denn ihr Smartphone haben die immer dabei", sagt Kowalewski.
Aufklärung über falsche Stammtischmythen
Im Ernstfall bleibt häufig kaum Zeit zum Nachdenken. Das "jetzt, jetzt, jetzt" der App-Stimme erklingt auch dann, wenn der Nutzer sein Handy auf lautlos gestellt hat. So lange, bis der Notarzt da ist, den die App automatisch verständigt. Bevor der Notruf rausgeht, müssen die Helfer mehrere Fragen beantworten: Reagiert dein Freund/ deine Freundin auf Ansprache? Wenn nicht: Atmet dein Freund/ deine Freundin noch? Ist das der Fall, erfährt der Helfer erst, wie er seinen Freund in die stabile Seitenlage bringt. Stellen die Jugendlichen keine Atmung fest, wählt die App sofort den Notruf. "Viele können nicht einmal richtig einschätzen, wann eine Vergiftung vorliegen könnte und Hilfe geholt werden muss", sagt Kowalewski.
Neben dem Notfallplan gibt die App Tipps für den moderaten Umgang mit Alkohol. Regeln wie "Ich trinke nichts Hochprozentiges, keinen Schnaps oder Mixgetränke wie Wodka O." sollen den Absturz von vornherein verhindern. In einem Spiel können die Jugendlichen zusätzlich ihr Verhalten in einer typischen Partynacht simulieren. Dabei werden sie belohnt, wenn sie Betrunkenen helfen - mit Coolnesspunkten. "Wir wollten nicht mit dem erhobenen Zeigefinger dastehen, sondern den Jugendlichen mehr Verantwortungsgefühl mit auf den Weg geben", erklärt Kowalewski.
Weitere Informationen bietet ein Quiz. Dort werden auch unter Erwachsenen häufig verbreitete Stammtischmythen wie "Alkohol kann man ausschwitzen" oder "Kalt duschen macht wieder nüchtern" widerlegt. "Jugendliche wissen oft erschreckend wenig über Alkohol", sagt Kowalewski. Das sieht auch Johannes Thrul so. Der Psychologe vom Institut für Therapieforschung in München hält das Gratisangebot für sinnvoll. "Die Entwickler haben ein Instrument gewählt, das einen guten Zugang zur Zielgruppe verspricht und auf das in Notfällen per Smartphone zugegriffen werden kann", sagt Thrul, der vor allem das Notfallkit lobt. "Man kann nicht davon ausgehen, dass schon jeder junge Mensch einen Erste-Hilfe-Kurs absolviert hat", so Thrul.
App bald auch für das iPhone erhältlich
Im Gegensatz zu Broschüren, wie sie zum Teil tausendfach für teure Kampagnen gedruckt werden, holt die App die Jugendlichen da ab, wo sie sich eh aufhalten: Im Internet bei Facebook, Twitter oder eben auf dem Smartphone. "Deshalb nutze ich auch soziale Netzwerke für die Präventionsarbeit. Hier können wir die Jugendlichen erreichen und an ihnen dranbleiben. Viele Kollegen beschäftigen sich zu wenig damit", sagt Sabine Kowalewski.
Die ehemalige Gymnasiallehrerin hat gezeigt, dass erfolgreiche Prävention auch ohne viel Geld möglich ist. Bisher wurde die App mehr als 1800-mal runtergeladen - obwohl sie laut Kowalewski nur mit sehr geringen finanziellen Mitteln und vielen ehrenamtlichen Helfern umgesetzt wurde. Deshalb mussten Abstriche im Design gemacht werden - vor allem beim Spiel. "Hier gibt es noch Verbesserungspotential, das könnte ansprechender gestaltet sein", glaubt Thrul. Kowalewski will nachbessern. Mit dem Preisgeld aus dem Wettbewerb soll die App noch einmal überarbeitet werden. Und dann soll sie endlich auch für das iPhone erhältlich sein.
Quelle: spiegel