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Off Topic 60 Jahre UKW-Stereo in Deutschland: Raumklang im Schneckentempo

60 Jahre UKW-Stereo in Deutschland: Raumklang im Schneckentempo​

29.07.2023 09:00 Uhr Karl-Gerhard Haas
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Der erste Stereo-Tonwagen des Südwestfunks in Baden-Baden 1967 vor offensichtlich winterlicher Kulisse.

(Bild: SWR)

Vor 60 Jahren begann in Deutschland-West wie -Ost das Zeitalter von UKW-Stereo – wenige Jahre, nachdem Schallplatten zweikanalig wurden.

Nicht nur beim Sandmännchen war Deutschland-Ost Deutschland-West eine Nasenlänge voraus. Auch beim Zweikanalton im UKW-Radio war die untergegangene DDR schneller. Am 2. August 1963 sendete das ostdeutsche Staatsradio zum ersten Mal stereophon, also im Zweikanalton. Auf der Westseite folgte der öffentlich-rechtliche Sender Freies Berlin (SFB, heute Teil des RBB) erst zum 30. des Monats – zur Eröffnung der dortigen Funkausstellung. Apart: Ost wie West entschieden sich für dasselbe, von den US-Firmen General Electric und Zenith entwickelte System.

Stereophonie bedeutet räumliche Aufnahme und Wiedergabe und ist seit den späten 1960ern der Standard in der Musikproduktion. Stereo kommt aus dem Griechischen und bedeutet: fest, solide. Prinzipiell erschließt sich daraus in der Aufnahme- und Wiedergabetechnik keine Kanalzahl. In der Praxis wird es meist mit zwei Kanälen – Links und Rechts – produziert, die über ebenso viele Lautsprecher wiedergegeben werden, was im Gegensatz zum nur einkanaligen Mono die Akustik des Aufnahmeraums (oder die am Mischpult entstandene virtuelle) wesentlich klarer und spektakulärer abbildet.

Mit der Technik beschäftigte sich der Erfinder Clement Ader (1841-1925) bereits im späten 19. Jahrhundert. Am 11. August 1881 übertrug er stereophon eine Aufführung der Pariser Opernbühne in deren Nebenräume. Der Berliner Rundfunk – Vorgänger von SFB und RBB an der dortigen Masurenallee – produzierte von 1942 bis 1944 zwischen 300 und 400 Stereoaufnahmen, die allerdings ins heutige Polen ausgelagert wurden und größtenteils verschollen sind. In Großbritannien forschte der britische Ingenieur Alan Blumlein schon 1933 an damals "binaural" genannten Aufnahmen. Mangels anderer Medien nutzte er chemischen Film als Tonträger, diesem Umstand hat die Welt ein cineastisches Kleinod namens "Walking and Talking" zu verdanken. Blumlein erfand auch gleich noch die bis heute gängige Art, Stereoton auf Langspielplatten zu verewigen. Dessen Einführung 1958 durch Mercury Records erlebte er allerdings nicht mehr: Er starb 1942 bei einem Radar-Erprobungsflug.

Der Umstiegstermin der Schallplatte zeigt schon: Richtig Fahrt nahm das Thema Stereophonie in der westlichen Welt nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs auf. Die für Normalverbraucher erreichbaren Medien waren neben der Schallplatte das Radio, zu einem geringeren Anteil Tonbandgeräte.
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. Das forcierte den Umstieg auf die klanglich deutlich überlegene Ultrakurzwelle (UKW). Die wesentliche Verbesserung gegenüber der Mittelwelle ist nicht der verwendete Frequenzbereich, sondern die Modulationsart: Mittelwelle und Langwelle nutzen Amplitudenmodulation (AM), UKW Frequenzmodulation (FM). Der Unterschied: Aufs AM-Signal wirken sich elektrische und atmosphärische Störungen aller Art unmittelbar aus, das FM-Signal hingegen bleibt unbeeindruckt.

Hier ist Berlin!​

Auch UKW war zunächst mono. Aber bereits 1958 experimentierte der SFB mit Stereo – der 26. Dezember des Jahres gilt als Tag der ersten Stereo-Radioübertragung in Deutschland. Dazu schaltete man einfach zwei UKW-Sender und -Empfänger parallel. Für einen Versuch hinnehmbar – aber allen Beteiligten war klar, dass ein alltagstauglicher und wirtschaftlicher Stereo-Sendebetrieb nur möglich wäre, wenn man es schaffte, die Töne auf nur einer Frequenz zu senden – und zwar so, dass Monoempfänger ein einwandfreies, vollständiges Signal erhalten. Denn Wellenreiter, die zufällig eine der beiden Versuchsfrequenzen erwischten, hörten nur den linken oder rechten Kanal.

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Blick in den ersten Stereo-Regieraum im sogenannten Unterhaltungskomplex des damaligen Südwestfunks in Baden-Baden. Er wurde 1967 in Betrieb genommen.
(Bild: SWR/G.A. Castagne)

Also: Wie packt man zwei Signale möglichst sauber und kompatibel in eines? Den Technikern kam entgegen, dass das Kanalraster des UKW-Bandes großzügig bemessen ist. Das Mono-Nutzsignal belegt nur einen Frequenzbereich bis 15.000 Hertz (Schwingungen pro Sekunde, Hz) oder 15 kHz, ein UKW-Kanal ist aber 100 kHz breit – mit dem ursprünglichen Mono-Signal ist der Kanal also bei Weitem nicht voll.

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Schematische Darstellung der Signalanteile von UKW-Stereo.
(Bild: JaynfM, CC BY-SA 3.0)

Der erste und einfachste Schritt für den Übergang auf Stereo: Man bildet auf Senderseite aus linkem und rechtem Kanal ein Summen- (L+R) und ein Differenzsignal (L-R). Aus beiden lässt sich durch Addieren und Subtrahieren das vollständige Stereosignal wiederherstellen. L+R entspricht dem bisherigen Monosignal. Es ist, wie gehabt, auf 15 kHz begrenzt. Mit L-R amplitudenmoduliert man einen Träger bei 38 kHz. Die dadurch entstehenden unteren und oberen Seitenbänder werden Teil des Signalgemischs (Multiplex / MPX). Vorteil des Umwegs über AM und zwei Seitenbänder: Deren Signalpegel ist deutlich niedriger als der des Summensignals (oder eines direkt übertragenen Differenzsignals) – man braucht also weniger zusätzliche Sendeleistung.

Deswegen unterdrückt man auch den Träger bei 38 kHz, setzt ihn aber parallel als Pilotton auf 19 kHz herab. Der Pilotton hat nur etwa zehn Prozent der Amplitude des höchstmöglichen Summensignalpegels – der Träger bei 38 kHz hingegen verbrauchte auch dann tüchtig Senderleistung, wenn gar kein Nutzsignal übertragen wird. Der 19-kHz-Pilotton signalisiert dem Empfänger eine Stereoübertragung und garantiert stabile Phasenbeziehungen zwischen Summen- und Differenzsignal – nur dank ihrer lassen sich Links und Rechts wieder sauber dekodieren. Erst dieses mit seinen Seitenbändern bis 53 kHz reichende Signalgemisch (und RDS-Infos auf 57 kHz) wird jetzt frequenzmoduliert auf den Sender geschickt. Das gegenüber Mono (15 kHz) deutlich breitbandigere MPX-Signal ist schuld daran, dass man für einen rauscharmen Stereoempfang eine zehnmal höhere Antennenspannung als für Mono braucht.

Aufpreis für den Raumklang​

Ein weiterer Nachteil des Verfahrens: Es ist aufwendig. Zu einer Zeit, als Unterhaltungselektronik mit Elektronenröhren betrieben wurde, war der Schaltungsaufwand (und damit auch der Preisaufschlag) für UKW-Stereo beträchtlich. Der
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die Innereien eines frühen MPX-Dekoders.

Und noch etwas konnte den Raumklang trüben: Die meisten Erwachsenen hören den 19-kHz-Pilotton zwar nicht – aber sofern ihn der Stereodekoder nicht sauber filtert, ist er da. Das führte im Verbund mit Tonbandgeräten und Kassettenrekordern immer wieder zu Problemen: Das Signal sättigt das Band mit nutzlosen Informationen; es kann im Verbund mit dem für die Vormagnetisierung der Bänder benutzten Signalgenerator Interferenzen produzieren und führt Rauschunterdrückungssysteme wie Dolby in die Irre. Deshalb gibt es an fast allen Aufnahmegeräten mit Dolby einen Schalter für den MPX-Filter – und dort, wo der fehlt, ist es immer aktiv.

Das dauert …​

Dennoch zeigten viele Untersuchungen, dass das US-System für UKW-Stereo das beste ist. Die öffentlich-rechtlichen Sender der damaligen Bundesrepublik taten sich aber mit der Einführung der Stereophonie schwer. Wie immer ging es ums liebe Geld. Die Umrüstung der eigentlichen Sender war dabei der geringste Posten. Die komplette Aufnahme- und Studiotechnik in allen Funkhäusern musste für Stereo erneuert werden. Mono-Archivaufnahmen ließen sich zwar weiterhin problemlos senden – es war aber absehbar, dass sie mit dem Siegeszug der Stereophonie bei den Hörern so unbeliebt würden wie später Schwarzweiß-TV-Sendungen bei den Besitzern von Farbgeräten.

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Anlässlich der 1965 in Stuttgart ausgerichteten Funkausstellung präsentiert der damalige Süddeutsche Rundfunk den ersten stereotüchtigen Ü-Wagen der ARD unterm dortigen Sendeturm.
(Bild: SWR)

Petra Witting-Nöthen, Archivarin beim Westdeutschen Rundfunk (WDR), schildert die Stimmung im Papier "Die Einführung der Stereophonie im Rundfunk": "Die Intendanten standen der Sache eher abwartend, ja zum Teil ablehnend gegenüber. Doch konnten sie sich darauf einigen, eine Kommission 'Stereophonie' einzuberufen." Diese empfahl, UKW-Stereo auf der Funkausstellung 1963 anzukündigen. "Im Oktober 1962 sprach sich die ARD-Intendantentagung eindeutig dagegen aus." Und dann mäkelte noch Karl 0. Koch, seinerzeit Leiter der WDR-Hauptabteilung Musik: "Ihm schienen die stereophonen Aufnahmen unnatürlich, weil beispielsweise die Opernaufnahmen eine merkwürdige 'Entfernung der Sänger vom Orchester' hören ließen. Im Übrigen hielt Koch im Gegensatz zu seinem Stellvertreter Kruttge lediglich die E-Musik und die 'kammermusikkonzertante Tanzmusik' – damit gemeint war hochwertige Jazzmusik –, für eine stereophone Übertragung geeignet. 'Berieselung' wie Tanzmusik und Frühmusik sollten ohne Einschränkung in Monoqualität gesendet werden."

Erst Monate nach der SFB-Premiere auf der IFA (und der des DDR-Radios Anfang August), am 18. Dezember 1963, begann etwa beim WDR die Experimentierphase. Es dauerte Jahre, bis bei den damals – bis auf die Soldatensender der West-Alliierten – konkurrenzlosen Wellen der ARD ein substantieller Programmanteil in Stereo produziert und gesendet wurde. Auf Schallplatte war Stereo spätestens seit den späten 1960ern Standard, auf der
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ging es in den frühen 1970ern los – in der ARD schaffte der Süddeutsche Rundfunk den ersten stereotauglichen Übertragungswagen 1965 an, also zwei Jahre nach dem offiziellen Start. Der benachbarte Südwestfunk ließ sich noch weitere zwei Jahre länger Zeit. Seine damals beliebte Popwelle SWF 3 (heute SWR 3) funkte gar erst seit 1980 in Stereo.

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Blick in die Regie des SWF-Stereo-Ü-Wagens. Die Spezifikationen der Technik lesen sich nach heutigen Maßstäben bescheiden: Ein Frequenzgang von 40 Hz bis 15 kHz bei ± 2 dB Abweichung und ein Störabstand von 75 dB würden im Jahr 2023 kaum akzeptiert.
(Bild: SWR)

Insbesondere das Hörspiel wurde durch Stereo massiv aufgewertet – nicht zuletzt, weil es in den 1970ern viele Produktionen in Kunstkopf-Stereophonie gab, die eine besonders realistische Wiedergabe erlaubte – leider nur für Kopfhörernutzer.

Bis auf Weiteres …​

Mit der
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wurde UKW-Stereo erschwinglich und trat seinen Siegeszug an. Bevor ab den 1980ern auch die ersten TV-Sender in Stereo sendeten, hatte es gelegentlich Parallelübertragungen von TV-Konzerten mit stereophonem UKW-Ton ("Simulcast") gegeben. Lange Jahre hatten
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die entsprechende Möglichkeit, das Bild vom TV-Sender und den Ton von einem externen Radioempfänger aufzuzeichnen. In den USA experimentierte man in den 1970ern erfolgreich mit vierkanaliger ("quadrophoner") UKW-Übertragung – dem Vorläufer der aktuellen Surround-Formate – sowie Stereo auf Mittelwelle. Die Quadrophonie schlief nicht nur auf UKW ebenso schnell ein, wie sie gekommen war – und für die Mittelwelle konnte man sich nicht auf ein Stereo-System einigen. Ebenfalls in den 1970ern testete man für UKW Varianten von Rauschunterdrückungssystemen, Dolby B in den USA und Telefunkens HighCom in Deutschland. Durchsetzen konnte sich keines.

UKW wurde in Deutschland schon mehrfach totgesagt und ist in einigen unserer Nachbarländer tatsächlich abgeschaltet. Aus den deutschen Kabelnetzen ist UKW zwar verschwunden, terrestrisch wird es aber nach wie vor gesendet und genutzt. Für öffentlich-rechtliche wie private Sender sind allerdings die stark gestiegenen Stromkosten sowie das
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ein Problem. Dennoch, sagt ARD-Sprecherin Stefanie Germann zu heise online, ändert sich vorerst nichts. "Der Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland, Programmangebote für alle Menschen in Deutschland zu unterbreiten, kann momentan im Hörfunk nur über den Simulcast der analogen und digitalen Empfangswege sichergestellt werden."

(dahe [8])


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