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Heinrich Alt mit der „Sauren Gurke“ ausgezeichnet

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05.03.2014

Saure Gurke … geht an: Herrn Heinrich Alt, Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit

Sehr geehrter Herr Alt,

hiermit verleiht Ihnen die Gewerkschaftliche Arbeitslosengruppe im DGB Kreisverband Bonn / Rhein-Sieg aus Anlass unseres dreizehnten arbeitsmarktpolitischen Aschermittwoches vor der Bonner Agentur für Arbeit die „Saure Gurke“. Wir überreichen Ihnen diese Auszeichnung in der Anlage (siehe Tupperdose). Sie haben sich den Preis für das Jahr 2013 als Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit (BA) redlich verdient durch die anhaltend hohe Zahl rechtswidriger Bescheide, die in Ihrem Zuständigkeitsbereich zu verzeichnen waren; ferner durch die Sanktionspraxis der Jobcenter. Rechtzeitig zu Weihnachten 2013 setzten Sie Ihrer Gesamtleistung die Krone auf durch einen überraschenden Schulterschluss mit der CSU in der Frage von Öffnungsklauseln für den Mindestlohn, hier speziell für Jugendliche.

Alljährlich zu Aschermittwoch verleiht die Gewerkschaftliche Arbeitslosengruppe im DGB Kreisverband Bonn / Rhein-Sieg die „Saure Gurke“, um damit eine öffentlich wirkende Persönlichkeit auszuzeichnen, die sich im zurückliegenden Jahr durch einen hervorragenden Beitrag zur „Beleidigung, Ausgrenzung oder weiteren Verschlechterung der sozialen Lage der Erwerbslosen“ hervorgetan hat (vgl. Geschäftsbericht 2001-2005 des DGB Bonn / Rhein-Sieg / Oberberg, S. 51). Preisträger für das Jahr 2012 war der damalige Wirtschaftsmini-ster Dr. Philipp Rösler, für 2011 kürten wir Herrn Cossmann, den Leiter der Logistikzentren von Amazon Deutschland, im Jahr zuvor erhielt Frau Dr. Ursula von der Leyen den Preis. Auch Gerhard Schröder, Wolf-gang Clement, Franz Müntefering, Dr. Peter Hartz und Dr. Dieter Hundt gehörten schon zu den Preisträgern. Sie sehen, Sie befinden sich in prominenter Gesellschaft.

Sie erhalten den Preis der „Sauren Gurke“ für das Jahr 2013 aus folgenden Gründen:

1. Seit vielen Jahren wird über das „Ausmaß des Leistungsmissbrauchs von Hartz-IV-BezieherInnen“ geklagt. In der öffentlichen Aufmerksamkeit nimmt die Tatsache, „dass die Jobcenter massenhaft Leistungen vorenthalten, auf die ein gesetzlicher Anspruch besteht“ (1), deutlich weniger Platz ein. Leidtragende sind die Hartz-IV-BezieherInnen und ihre Angehörigen in den Bedarfsgemeinschaften. Das Ausmaß der rechtswidrigen Entscheidungen der Jobcenter ist „erschreckend und schlicht nicht mehr hinnehmbar“ (2). Mit Stand von Oktober 2013 waren bundesweit über 190.000 Widerspruchsverfahren gegen Bescheide der Jobcenter anhängig. Bei rund 60.000 Widerspruchsverfahren, die durchschnittlich in einem Monat abgeschlossen werden, gehen 35 Prozent zugunsten der Hartz-IV-BezieherInnen aus (3). „Mit anderen Worten: 35 Prozent der angefochtenen Bescheide waren ursprünglich rechtswidrig - selbst aus Sicht der Jobcenter, die ja die Widerspruchsbescheide selbst bearbeiten“ (4). Zudem werden in jedem Monat rund 5.000 Klagen von Hartz-IV-BezieherInnen vor den Sozialgerichten gewonnen, die Erfolgsquote der Klagen liegt bei 44 Prozent. Mit anderen Worten: In nahezu jedem zweiten Hartz-IV-Fall, der bis vor das Gericht kommt, muss das zuständige Sozialgericht ein Jobcenter verpflichten, höhere Leistungen auszuzahlen - Leistungen, auf die ein gesetzlich verbrieftes Recht besteht und die zu Unrecht vorenthalten wurden (5). Die eigene Statistik der BA belegt, dass im Rechtsbereich des SGB II die Diskrepanz zwischen Rechtsnorm und Rechtswirklichkeit besonders groß ist.

Nach einer Studie des DGB wird überdies in der statistischen Gesamtbetrachtung der Anspruch einer „umfassenden“ Unterstützung mit dem Ziel der Eingliederung in Arbeit (§ 14 SGB II) „völlig unzureichend umgesetzt“ (6). Viele dringend benötigte Hilfen der Jobcenter bzw. der kommunalen Sozialverwaltung kommen bei den jeweiligen Personengruppen gar nicht an. „Beispiel Schuldnerberatung: Auf Basis von Daten der BA sowie zweier Studien schätzt der DGB, dass 2012 rund 1,1 Millionen Hartz-IV-Empfänger ein ernstes Schuldenproblem hatten. Allerdings erhielten nicht einmal 33.000 von ihnen eine Schuldnerberatung.

Ähnliches wurde für die 450.000 Langzeitarbeitslosen mit einer Suchterkrankung festgestellt. Von ihnen erhielten nur 9.000 eine darauf abgestimmte Beratung durch die kommunale Sozialverwaltung“ (7). Zwar könnten die tatsächlichen Beratungszahlen aufgrund unvollständiger Meldungen der Behörden höher liegen, aber - so schätzt der DGB-Arbeitsmarktexperte Wilhelm Adamy - „Hilfe erhalte höchstens ein Viertel der Langzeitarbeitslosen mit Beratungsbedarf“ (8).

Die Bundesagentur für Arbeit ist eine an Recht und Gesetz gebundene ausführende Behörde. Sie und die Vorstandsmitglieder der BA in Nürnberg können nichts für schlechte Gesetze, Sie können unmittelbar nichts für strukturelle Unterfinanzierung, für fehlende Mittel für eine angemessene Personalausstattung und für Qualifizierungsmaßnahmen der Jobcenter-Mitarbeiter. Wir hätten aber erwartet, dass Sie - in Ihrem Verantwortungsbereich für den Rechtskreis SGB II und den Bereich operative Steuerung - Initiativen eingeleitet hätten, um die eklatanten strukturellen Defizite der Jobcenter und der kommunalen Sozialverwaltung zu überwinden. Wir hätten deutliche Worte in Richtung der politisch Verantwortlichen auf legislativer und exekutiver Ebene erwartet, um auf die nicht hin-nehmbare Misere des Hartz-IV- Systems hinzuweisen.

Nicht zuletzt wegen dieser politischen Versäumnisse verleihen wir Ihnen die „Saure Gurke“ zu Aschermittwoch 2014.

2. Im Bereich des unter Ihrer operativen Leitung stehenden Rechtskreises SGB II hat sich die Politik der Bundesagentur für Arbeit an die Anforderungen des Grundgesetzes (9), an die Leitsätze der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes vom 09.02.2010 (10) und des Bundesgerichtshofs vom 13.10.2011 (11) sowie an die Zielsetzung des SGB II (12) zu halten, und das heißt, insbesondere die Würde des Menschen (9)(10)(12) zu beachten und das menschenwürdige bzw. soziokulturelle Existenzminimum (10)(11) zu gewährleisten.

Sanktionen (13) stellen eine Gefährdung von Gesundheit und Leben dar. Ihre Fragwürdigkeit belegen viele Aufhebungsentscheidungen von Sozialgerichten. Sie selber bestätigen zudem in der Sendung ‚Menschen bei Maischberger‘ vom 04.12.2012, dass getroffene Sanktionsentscheidungen eindeutig fehlerhaft waren (14). Obwohl Sie selbst einräumen, dass sich „95 % der ‚Kunden‘ rechtskonform und regelkonform verhalten“ (15), stieg die Anzahl der Sanktionen in 2012 und 2013 auf über eine Million an, wobei Sie diese als „Abfallprodukt“ (16) verniedlichen. Zudem fällt eine erschreckende Unkenntnis der realen Auswirkungen von Sanktionen auf, wenn Sie bei Frau Maischberger folgendes behaupten:

“Es verhungert niemand in Hartz IV, es verliert keiner seine Wohnung in Hartz IV, auch wenn er sanktioniert ist, und es verliert keiner seinen Krankenversicherungsschutz, wenn er in Hartz IV ist, und sogar Lebensmittelgutscheine bekommt behält er seinen Krankenversicherungsschutz in Hartz IV.”

(17) Denn jede Sanktion stellt angesichts der ohnehin zu geringen Höhe des Regelbedarfs eine akute Existenzbedrohung dar, von den „verheerenden Auswirkungen“ (18), wie sie die dem NRW-Landtag vorgelegte Studie (19) belegt, ganz zu schweigen. Dennoch behaupten Sie schlicht, dass Jobcenter mit Sanktionen „das Prinzip des Förderns und Forderns umsetzen“ (20) und „Jobcenter verantwortungsbewusst mit dem Instrumentarium umgehen.“ (20)

Mit der von Ihnen befürworteten Sanktionspolitik leisten Sie einen wesentlichen Beitrag nicht nur zur Verschlechterung der Situation der „hilfsbedürftigen Leistungsberechtigten“ (21), sondern auch zur Verstetigung der existenziellen Unsicherheit.

3. Einen weiteren Grund, Ihnen die diesjährige „Saure Gurke“ zu verleihen, sehen wir in Ihren Äußerungen zum Thema Mindestlohn.

Gegenüber dem Darmstädter Echo vom 23.12.2013 beantworteten Sie die Frage „Sollte es Ausnahmen beim Mindestlohn geben?“ so: „Ja. Wenn man jungen Leuten unter 18 einen Mindestlohn zahlen würde, dann könnte der Anreiz, eine Ausbildung zu machen, abnehmen. Entscheidend bleibt aber eine solide Ausbildung.“ (22)

Das Lohndumping für junge Leute soll also weitergehen? Selbst wenn der Mindestlohn in angedachter Höhe eingeführt würde, bedeutet dies, dass unzählige Menschen einen Lohn bekommen, der auch für das Nötigste kaum ausreicht. Wir bezweifeln, dass junge Leute eine solche Zukunft anstreben würden, anstatt alles daran zu setzen, um eben diese Aussicht auf eine dauerhafte Armut zu vermeiden. Die Wichtigkeit einer soliden Ausbildung, die Sie selbst kürzlich nochmals betonten (23), steht außer Frage.

Aber ist eine solche Ausbildung für viele Jugendliche nicht nahezu unerreichbar, so dass sie sich aus Not in Jobs auf Mindestlohn-Niveau verdingen? Wir jedenfalls haben Zweifel, ob diese Erkenntnis in Ihrer Behörde weit genug vorgedrungen ist. Wie kann es sein, dass Schüler aus einer Bedarfsgemeinschaft, die gerade auf das Abitur zusteuern, unter Sanktionsandrohungen zu Vermittlungsgesprächen ins Jobcenter beordert werden (24).

Aus diesen Gründen haben Sie sich den Preis redlich verdient. Wir wünschen Ihnen einen guten Appetit.

Mit freundlichen Grüßen

Ihre Gewerkschaftliche Arbeitslosengruppe im DGB Kreisverband Bonn / Rhein-Sieg

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Quelle: der sozialticker
 
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