Das erstinstanzliche Landgericht Bad Kreuznach wies die Klage eines Gebrauchtkäufers gegen Volkswagen noch ab. Nach Ansicht des Landgerichts bestand zwischen dem Käufer und Volkswagen keine Vertragsbeziehung, sodass vertragliche Ansprüche, insbesondere solche aus dem Kaufrecht, ausschieden. Auch eine deliktische Haftung sei ausgeschlossen, da Volkswagen nicht in Bereicherungsabsicht gehandelt habe. Nach Auffassung des Gerichts lag keine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung vor.
Das Oberlandesgericht Koblenz sah dies anders und verurteilte Volkswagen zur Zahlung. Nach Auffassung des OLG Koblenz hatte Volkswagen durch das Inverkehrbringen der eingesetzten Abgaseinrichtung eine entsprechende Täuschungshandlung verübt. Diese Täuschung wurde entweder aktiv unterstützt oder zumindest bewusst nicht unterbunden. Die beklagte Volkswagen AG muss sich dabei das Handeln ihrer Mitarbeiter zurechnen lassen. Der Bundesgerichtshof folgte nun überwiegend dieser Auffassung des OLG Koblenz.
Was bedeutet das für wen?
Geschädigte Kunden, die ein Fahrzeug mit dieser illegalen Abgasvorrichtung erworben haben, haben gegenüber Volkswagen einen Anspruch auf Schadensersatz – in der Regel den Bruttokaufpreis, wenn sie im Gegenzug das Fahrzeug zurückgeben. Voraussetzung ist, dass ein Fahrzeug mit der betroffenen Abgasvorrichtung erworben wurde und der Anspruch noch nicht verjährt ist. Ausschlaggebend für den Schadensersatzanspruch ist zunächst der Fahrzeugkaufpreis, abzüglich der gefahrenen Kilometer.
Wann verjährt der Anspruch?
Die Verjährung im Rahmen des Abgasbetrugs ist juristisch umstritten. Grundsätzlich gilt die regelmäßige Verjährungsfrist des § 195 BGB. Diese beträgt drei Jahre. Problematisch ist hierbei der Beginn der Verjährungsfrist. Die Verjährungsfrist beginnt gemäß § 199 BGB mit dem Ende des Jahres „in dem:
- der Anspruch entstanden ist und
- der Gläubiger von den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste.“
Entscheidend hierbei ist die Frage, wann die Käufer Kenntnis von den „Anspruch begründenden Tatsachen erlangt haben“. Hier spalten sich nun die Meinungen:
a) Kenntnis mit Berichterstattung: 2015 wurde der Abgasskandal öffentlich. Geht man daher vom Jahr 2015 und der „regelmäßigen Verjährung aus“, hätten Käufer die Ansprüche gegen Volkswagen bis zum 31.12.2018 geltend machen müssen.
b) Kenntnis mit Informationsschreiben: Andere setzen beim Beginn der Verjährung auf die Informationsschreiben von Volkswagen, in denen sie die betroffenen Kunden entsprechend informiert haben. Die Informationsschreiben erreichten Kunden von 2016 – 2017. Demnach hätten Ansprüche bis zum 31.12.2019 oder 31.12.2020 geltend gemacht werden müssen.
c) Kenntnis mit dem Urteil des BGHs: Eine neuere Auffassung geht davon aus, dass die Kenntnis erst mit dem ersten Urteil des Bundesgerichtshofs entstanden ist, daher erst im Jahr 2020, sodass Kunden ihre Ansprüche nach der regelmäßigen Verjährungsfrist bis zum 31.12.2023 geltend machen könnten. Diese Frage ist noch nicht abschließend geklärt. Ein Verjährungsbeginn mit dem Urteil des BGHs anzunehmen scheint jedoch zweifelhaft. Sinn und Zweck der Verjährungsvorschriften ist es gerade, Rechtssicherheit und -frieden zu schaffen. Spätestens mit den Informationsschreiben an die betroffenen Kunden dürfte mit einer Kenntnisnahme zu rechnen sein.
d) Hemmung der Verjährung: Unter Umständen bleibt noch die Hemmung der Verjährung. Diese kann einerseits mit dem Beitritt der Musterfeststellungsklage erzielt worden sein, durch Vergleichsverhandlungen mit Volkswagen oder mittels Klageverfahren oder Mahnbescheid. Die Hemmung endet in der Regel jedoch sechs Monate nach der rechtskräftigen Entscheidung oder anderweitigen Beendigung des eingeleiteten Verfahrens. Die Annahmefrist des Vergleiches endete zum 30.04.2020, sodass spätestens bei Nichtannahme des Vergleichs die Ansprüche binnen sechs Monaten noch geltend gemacht werden müssen.
e) Teilweise 10-jährige Verjährungsfrist: Teilweise wird zudem angenommen, dass im Falle von Volkswagen nicht die „regelmäßige Verjährung“ gilt, sondern erst nach 10 Jahren gemäß § 852 BGB. Ob dieser Fall hier einschlägig ist, bleibt offen bzw. ist noch nicht höchstrichterlich geklärt.
Vergleich oder Urteil abwarten?
Die Verjährung wird wohl auch in Zukunft die obersten Gerichte beschäftigen. Spätestens für Ansprüche, die nach dem 31.12.2019 geltend gemacht werden, dürfte eine gerichtliche Auseinandersetzung, trotz des Urteils des BGHs, kein „Selbstläufer“ mehr sein. Das prozessuale Risiko dürfte daher enorm steigen.
Was ist besser, Vergleich oder Urteil abwarten?
Die Vergleiche, insbesondere solche im Rahmen der Musterfeststellungsklage mit der vzbv, lagen im Betrag zwischen 1350 und 6257 Euro. Auf den ersten Blick stehen Kläger besser da, wie die nachfolgende Rechnung aus dem Verfahren zeigt:
Bruttokaufpreis: 31.490 €
Gefahrene Kilometer: 52.229 km
Erwartete Gesamtlaufleistung: 300.000 km
Laufleistung beim Gebrauchtkauf: 20.000 km
Erwartete Restlaufleistung zum Erwerbszeitpunkt: 280.000 km
Der Senat berechnete als Nutzungsentgelt:
Bruttokaufpreis x gefahrene Kilometer / erwartete Restlaufleistung
Im Fall des BGH-Urteils ergibt sich daraus ein Abzug von 5873,90 Euro. Der Auszahlungsbetrag liegt daher bei 25.616,10 Euro nebst Zinsen (5 Prozent über dem Basiszinssatz seit 24. November 2017). Dabei muss nun jedoch auch das Fahrzeug zurückgegeben werden. Dennoch ist das eine stolze Rückzahlungssumme, wenn man bedenkt, dass das Fahrzeug fast 5 Jahre genutzt wurde.
Hohes Prozessrisiko
Käufer, die Klage eingereicht haben, stehen also aktuell finanziell recht gut da. Sie trugen jedoch ein hohes Prozesskostenrisiko, das sollte nicht vergessen werden. Die Käufer, die sich der Musterfeststellungsklage anschlossen, hatten solch ein Risiko nicht. Das Prozesskostenrisiko, sofern keine Rechtsschutzversicherung vorhanden, betrug im hiesigen BGH-Fall ungefähr 26.500 Euro mit allen Anwalts- und Gerichtskosten, die die Partei zu zahlen hat, die den Prozess verliert. Umentscheiden können sich Käufer ohnehin nicht. Außergerichtliche Vergleiche werden fast ausschließlich mit einer Abgeltungsklausel abgeschlossen. Wer den Vergleich annimmt, kann also im selben Fall nicht noch einmal klagen.
Ob ein Vergleich oder eine fortgesetzte Klage besser ist, hängt ohnehin immer vom individuellen Vergleichsvorschlag ab. Berücksichtigen sollte man jedoch, dass die gefahrenen Kilometer bis zum Ende des Prozesses natürlich auch als Nutzungsentschädigung abgezogen werden. Nicht jeder kann das Auto für einen Gerichtsprozess einmotten. Auch muss jeder für sich selbst entscheiden, ob man unter Umständen jahrelang auf ein entsprechendes Urteil warten möchte, was die Auszahlung natürlich verzögert. Zudem ist nicht jeder Fall identisch mit dem vom BGH entschiedenen Fall. Es liegen immer leichte Abweichungen vor, insbesondere im Hinblick auf die Verjährung.
Wie hoch ist der Anspruch für Kläger, die ihr Auto behalten wollen?
Nach dem Urteil des BGHs haben Käufer grundsätzlich einen Anspruch auf Schadensersatz, daher auch einen Anspruch auf den Ersatz des entstandenen Minderwertes. Der Minderwert ist in der Praxis jedoch schwierig zu ermitteln. Hierzu hat der BGH bislang keine Stellung bezogen.
Was bedeutet das Urteil für Verfahren gegen andere Hersteller?
Hersteller, die bewusst eine entsprechende Abgaseinrichtung installiert haben, sind ebenso wie Volkswagen dem Grunde nach zum Schadensersatz verpflichtet. Je nach Hersteller stellt sich die Frage, ob die jeweiligen Täuschungshandlungen identisch zu denen von Volkswagen sind. Im Falle von Volkswagen wusste der Leiter der Entwicklungsabteilung bereits seit 2011 von der Abschalteinrichtung. Ob dies auch bei anderen Herstellern der Fall war, wissen wir noch nicht. Auch hier müssen Käufer auf die Verjährungsfristen achten, zum Beispiel anlässlich der durchgeführten Rückrufaktionen.
Der Unterschied zwischen Volkswagen und anderen Herstellern liegt jedoch darin, dass Volkswagen zugab, illegale Abschalteinrichtungen zu verwenden, während die Konkurrenz das bis heute abstreitet. Grundsätzlich trägt nämlich erst einmal der klagende Käufer die Beweislast. Er müsste demnach beweisen, dass eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung vorliegt. Der BGH urteilte im aktuellen Fall, dass Volkswagen eine sekundäre Darlegungslast habe. Der Konzern hätte im Prozess daher einen abweichenden Geschehensablauf darlegen müssen, ähnlich wie bei Filesharing-Fällen, bei denen der Anschlussinhaber einen abweichenden Geschehensablauf liefern muss, um sich aus der Haftung zu befreien. Ob andere Hersteller, in denen eine Führungsperson möglicherweise keine Kenntnis hatte, auch eine sekundäre Darlegungslast haben, bleibt bis zu entsprechenden Urteilen offen.
Kann VW das (damalige) Management zur Verantwortung ziehen?
Nach deutschem Recht gibt es mehrere Haftungsmöglichkeiten:
- Geschäftsführerhaftung (z. B. GmbH)
- Vorstandshaftung (z. B. AG)
- Mitarbeiterhaftung
Um eine Haftung zu begründen, bedarf es in der Regel mindestens Vorsatz und/oder grobe Fahrlässigkeit. Hierbei ist fraglich, ob den Verantwortlichen so etwas nachgewiesen werden kann. Hierzu müssen wir auch abwarten, was bei den laufenden Strafprozessen gegen verschiedene Verantwortliche der Volkswagen AG herauskommt. Bei den noch laufenden Verfahren will Volkswagen die Gerichte „schnellstmöglich entlasten”. Sie wird den Klägern also weitere Vergleichsangebote machen.