Mark Specht: Ja, MTV war für einige Jahre im Pay-TV und damit vielen mehr als Marke denn als Sender ein Begriff. Aber wir haben feststellen können, dass die Marke trotzdem eine unveränderte Strahlkraft hat. Ob es die MTV EMAs oder unsere MTV Unplugged-Konzerte sind: Die Tickets sind heißbegehrt. Als wir im März begonnen haben, das MTV-Programm kostenlos auf unserer Website zu streamen, war die Resonanz außerordentlich groß. Das hat uns in der Entscheidung bestärkt, den Sender zurück ins unverschlüsselt empfangbare Fernsehen zu bringen.
Aber was macht Free-TV heute attraktiver als damals 2010 bei der Entscheidung, ins Pay-TV zu gehen?
Mark Specht: Das Wettbewerbsumfeld ist ein völlig anderes als im Jahr 2010. Mit der vollzogenen Digitalisierung der Kabelnetze in Deutschland gibt es mehr Kapazitäten für den Launch neuer Sender bzw. für die Rückkehr eines Senders als in einer Zeit, in der die teurere analoge Verbreitung das Maß der Dinge war. Dazu kommt durch die fortgeschrittene Fragmentierung des Marktes die gestiegene Akzeptanz kleinerer, speziellerer TV-Umfelder bei Werbekunden und Agenturen. Wir waren auch überwältigt von den Reaktionen unserer Distributionspartner, die sich auf die Marke MTV wirklich freuen und uns helfen, den Sender rechtzeitig fürs neue Jahr wieder ins Free-TV zu bringen. Bei einigen Partnern werden wir sogar schon im Laufe des Dezembers wieder frei empfangbar sein. Wir werden zur Rückkehr eine technische Reichweite von über 90 Prozent haben. Das macht jeden Senderchef glücklich - und wir genießen dabei die volle Unterstützung unserer Kollegen im Viacom-Cluster Southern & Western Europe, Middle East and Africa.
Raffaele Annecchino: Die Rückkehr von MTV ins unverschlüsselte deutsche Free-TV ist eines unserer wichtigsten Projekte. Deutschland ist ein Schlüsselmarkt für uns, in dem wir unsere Glocal-Strategie schon erfolgreich implementiert haben und jetzt auch bei MTV ausbauen wollen - also sowohl globale Programmmarken anzubieten als auch lokale Produktionen zu etablieren, die als Format dann auch wieder international genutzt werden können. Wir sehen hier beispielsweise bei Comedy Central schon Erfolge mit tollen Reichweitensteigerungen in der Primetime.
Ist Viacom damit im deutschen Markt fertig aufgestellt oder denken Sie an einen weiteren Launch?
Raffaele Annecchino: Gut, dass sie die Frage im Jahr 2017 stellen und nicht in 2015. Heute sind wir sehr glücklich mit unserer Aufstellung im deutschen Markt und das beruht auf mehreren Faktoren: Zunächst einmal ist unser Team in Deutschland unter der Führung von Mark so stark wie noch nie. Dann sind wir sehr zufrieden mit der Reichweiten-Entwicklung unserer Sender: Mit MTV, Nickelodeon und Comedy Central sind drei starke Viacom-Brands im deutschen Markt positioniert, die ins Digitale und z.B. im Fall von Nickelodeon sehr erfolgreich auch in den Bereich von Consumer Products verlängert sind.
Mark Specht: Wir haben momentan keine konkreten Pläne weitere Marken auf den deutschen Markt zu bringen, aber auch hier entwickeln sich die Marktbedingungen günstig: Die Kosten für den Launch und Betrieb eines Senders sind gesunken. Gleichzeigt sehen wir einen vitaleren Wettbewerb um Werbegelder, aber auch um Inhalte. US-Content wird z.B. in Zukunft vermutlich seltener in exklusiven Output-Deals an große Sendergruppen gehen. Das öffnet weitere Chancen für kleinere Player noch gezielter Programm einzukaufen.
Und was ist mit VIVA?
Mark Specht: Neben den drei globalen Viacom-Brands haben wir im deutschen Markt natürlich VIVA und auch Nicknight, eine Programmmarke, die es beispielsweise nirgendwo anders gibt. VIVA ist unsere Jugendmarke auf Augenhöhe mit der Zielgruppe, während MTV als internationale Marke breiter aufgestellt ist und für Weltstars und große Events steht. An der Positionierung unser beiden Musiksender ändert sich durch die Rückkehr von MTV ins Free-TV nichts.
Jetzt haben nicht viele Zuschauer zuletzt MTV gesehen. Was läuft denn so bei MTV?
Mark Specht: Zunächst einmal steht der Sender natürlich für Musik. Unter den Top 5-Shows im noch kostenpflichtigen MTV-Programm sind in diesem Jahr aber auch Formate wie „Just Tattoo of Us“ oder „Ex on the Beach“. Beides Formate, die unseren jungen Zuschauerinnen und Zuschauern sehr am Herzen liegen. Für Musikfans legt MTV künftig aber auch wieder mehr Gewicht auf Musik.
Ich sorge mich ein wenig, dass MTV von Ihnen als große Musikmarke beschrieben wird - und ich letztlich doch oft nur Dokusoaps sehen werde…
Mark Specht: Unser neuer Programmplan, der ab dem 4. Dezember auf Sendung ist, legt einen großen Schwerpunkt auf Musik – mit 13 Stunden Musik am Tag unter anderem am späten Abend und Vormittag. Zu manchen Tageszeiten sind gewisse Zielgruppen einfach nicht zuhause bzw. in der Lage ein Programm zu verfolgen. Da machen wir in den Nachmittagsstunden Programm, das sich eher an den jüngeren Teil unserer Zielgruppe richtet und werden dann im Tagesverlaufs erwachsener - analog zum Arbeitsalltag der älteren Zielgruppe. Und es gibt auch Programme, die die Nostalgie derer bedienen werden, die einst mit MTV aufgewachsen sind. Das waren übrigens auch damals schon nicht nur Musikformate. Ich sag’ nur: „Pimp My Ride“ oder „Punk’d“.
Das beruhigt mich ein wenig.
Mark Specht: Das Programmschema wird die Ansprache von 14- bis 29-Jährigen sowie 30- bis 49-Jährigen wiederspiegeln. Dazu kommt auch die Farbe Comedy wie zum Beispiel unser Format „Vidiots“, wo unter anderem Prominente Musikvideos von heute und gestern kommentieren. Und dann werden wir natürlich unter dem 360-Grad-Ansatz über Festivals und Events nachdenken. Da gibt es noch nichts anzukündigen, aber wir wollen mehr machen. Das ist angetrieben vom Erfolg unserer „MTV Unplugged“-Konzerte.
Viacom ist in vielen Märkten mit sehr jungen Programmen vertreten, wenn ich an Nickelodeon, Comedy Central oder MTV denke. Es gab mal VH-1 als älteren Musiksender, aber die Positionierung hat sich längst gewandelt. Nimmt Viacom in Kauf ältere Zuschauer/Fans zu verlieren?
Raffaele Annecchino: Ihr Argument ist nicht von der Hand zu weisen und wir denken über dieses Thema nach, aber wenn sie sich das Konzert am Trafalgar Square am Vorabend der EMAs anschauen: U2 ist eine klassische MTV-Band. Und U2 hat sehr treue, langjährige Fans. Das sind eher weniger die Teenager. Und dann schauen Sie sich „MTV Unplugged“ an. Die Produktionen auf höchstem Niveau kommen bei Musikliebhabern gut an, die neben der Musik selbst, auch eine stimmige Verpackung und gewisse Wertigkeit schätzen. Diese Zielgruppe umfasst auch die älteren Generationen.
Sind Player wie Google oder Facebook ihre Freunde, weil eine junge Marke wie MTV sie für den 360-Grad-Ansatz auch braucht und nutzt - oder Feinde, weil die Mediennutzung neuer Plattformen von der Mediennutzung linearer Fernsehprogramme abgeht und sie mit ihnen im Wettbewerb um die Aufmerksamkeit der Zielgruppen stehen?
Raffaele Annecchino: Das sind keine Feinde, im Gegenteil. Wir haben zum Beispiel in Frankreich eine sehr erfolgreiche Partnerschaft mit Snapchat. Wir produzieren auch längst Content explizit für neue digitale Plattformen. Wie sie vielleicht wissen, arbeiten wir besonders stark daran kürzere, digitale Inhalte zu produzieren – Viacom hat hier erst vor Kurzem die Etablierung einer neuen digitalen Studio-Unit in den USA bekannt gegeben. Wir wissen diese Plattformen also für uns zu nutzen und haben im Wettbewerb um die Aufmerksamkeit der Zielgruppe bzw. die Werbegelder einen entscheidenden Vorteil: Unsere Events und eine Marke, die für einen Lifestyle steht. Mit Sponsorings wie zum Beispiel bei den EMAs, wo wir 19 Partner in den unterschiedlichen Territorien an Bord hatten, können Marken noch näher an MTV heranrücken. Mit dem Wechsel ins unverschlüsselte, frei empfangbare Fernsehen wird das auch im deutschen Markt ein noch attraktiveres Thema in der Vermarktung.
Wenn Events so attraktiv sind und andere europäische Viacom-Märkte eigene Preisverleihungen haben, stellt sich die Frage: Ist auch wieder ein deutscher Musikpreis von Viacom denkbar?
Mark Specht: Unsere Gedanken sind noch nicht so weit, dass man etwas konkret dazu sagen könnte, aber wir haben so etwas natürlich auf dem Radar.
Herr Annecchino, Herr Specht, herzlichen Dank für das Gespräch.