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PC & Internet Bundesgerichtshof stärkt Anonymität im Netz - Arzt scheitert mit Klage

Bei unfairen Behauptungen im Internet haben Betroffene keinen Anspruch, die Daten des Verfassers zu verlangen. Mit diesem Grundsatzurteil sorgt das oberste deutsche Bundesgericht (BGH) für Klarheit im Umgang mit Online-Foren aller Art.

Internetdienste müssen Namen anonymer Nutzer nicht an Privatpersonen herausrücken
Internetdienste müssen die Namen anonymer Nutzer nicht an Privatpersonen herausrücken. Dies entschied am Dienstag der Bundesgerichtshof in Karlsruhe in einem Fall von grundsätzlicher Bedeutung (Aktenzeichen BGH: VI ZR 345/13). Dabei scheiterte ein Arzt aus Baden-Württemberg mit der Forderung, Namen und Anschrift zum Verfasser einer abträglichen Bewertung im Online-Portal Sanego zu bekommen. Der VI. Zivilsenat des Gerichts bekräftigte damit den Schutz der Anonymität im Internet.

Die Anonymität dürfe nach den Bestimmungen des Telemediengesetzes (TMG) nur in wenigen Ausnahmen aufgehoben werden, sagte der Vorsitzende Richter Gregor Galke bei der Verkündung der Entscheidung. Er nannte Strafverfolgung, Gefahrenabwehr und die Durchsetzung von Urheberrechten. "Der Schutz der Persönlichkeitsrechte ist nicht genannt", betonte Galke. Der Senat habe geprüft, ob es sich dabei um ein Versehen des Gesetzgebers gehandelt habe. "Das war nicht der Fall."

Die Entscheidung bedeutet, dass es bei abträglichen Behauptungen in Internet-Portalen aller Art keine zivilrechtliche Handhabe gibt, um von dem Anbieter Name und Adresse eines anonymen Verfassers zu bekommen. Das könnten Betroffene etwa fordern, um Schadenersatz bei einer Rufschädigung zu verlangen. Sie können jedoch weiterhin eine Strafanzeige bei der Polizei stellen. Ermittelt dann ein Staatsanwalt und erwirkt eine richterliche Anordnung, müssen Internet-Dienste den Behörden die Daten eines anonymen Nutzers vorlegen.

Meinungsfreiheit im Netz bleibt erhalten

Mit der Entscheidung werde "der Schutz des Einzelnen gestärkt, im Internet seine Meinung kundzutun", sagte der Mainzer Rechtsanwalt Jens Gmerek. Gmerek hatte das Bewertungsportal Sanego während des Verfahrens vor dem Stuttgarter Oberlandesgericht vertreten, dessen Berufung nun vor dem BGH endete. "Die Betroffenen sind ja nicht schutzlos", sagte Gmerek der Nachrichtenagentur dpa. "Wir haben jetzt nur die Hürde, dass sie bei strafrechtlich relevanten Äußerungen den Staatsanwalt einschalten müssen."

Anders als bei der mündlichen Verhandlung am 3. Juni war der schwäbische Arzt diesmal nicht nach Karlsruhe gekommen. Seitens der Kanzlei, die den Kläger vor dem BGH vertrat, sagte Rechtsanwalt Jochen Höger, mit der Entscheidung werde "dem Betroffenen die Möglichkeit genommen, sich gegen nachweisliche Falschbehauptungen in solchen Foren zu wehren".

Der klagende Arzt hatte erst vom Landgericht, dann auch vom Oberlandesgericht Stuttgart in allen Punkten Recht bekommen. Das Bewertungsportal mit Sitz in Dreieich bei Frankfurt folgte der Anordnung, die Bewertung des Arztes mit falschen Tatsachenbehauptungen aus dem Netz zu nehmen. Gegen die Verurteilung zur Auskunftserteilung legte Sanego dann aber Revision ein. Der BGH hob nun das Urteil des OLG Stuttgart vom 26. Juni vergangenen Jahres auf. Zuvor hatte auch das OLG Dresden einen Auskunftsanspruch bestätigt, das OLG Hamm hatte dies jedoch verneint.

Quelle: onlinekosten
 
BGH-Urteil zur Anonymität im Netz: Freie Fahrt für anonyme Pöbler?

Ehrliche Empörung bewegte den Hausarzt aus Schwäbisch Gmünd: "Es darf nicht sein, dass jemand derartige Vorwürfe erhebt, ohne seine Identität preiszugeben." Jemand hatte auf dem Bewertungsportal Sanego unwahre Kritik über den Arzt verbreitet. Der wollte gegen den anonymen Störenfried vorgehen.

Bewertungsportal muss Namen des Nutzers nicht herausgeben
Doch er muss eine Niederlage einstecken. Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe gab am Dienstag dem Internetdienst Sanego Recht. Das Bewertungsportal muss dem Mediziner nicht den Namen und die Anschrift des Nutzers geben, dessen Kommentar den Arzt so empört hat.

Patientenakten seien in den Behandlungsräumen in Wäschekörben gelagert worden. Es gebe lange Wartezeiten. Folgetermine seien nicht zeitnah möglich. Und der Arzt habe eine Schilddrüsenüberfunktion nicht erkannt. So äußerte sich der anonyme Sanego-Nutzer im November 2011. Nach einer Beschwerde nahm Sanego den Kommentar vom Netz - aber im Juni 2012 stand es wieder so auf der Seite. Obwohl es sich nach richterlichem Befund um unwahre Tatsachenbehauptungen handelte.

Beschimpfungen im Internet sind Problem für Juristen

Online-Foren sind voll von solchen Behauptungen, nicht nur bei der Bewertung von Ärzten, Hotels oder Produkten, sondern auch in Diskussionsforen auf Medien-Webseiten. "In unserer Praxis haben wir erhebliche Probleme mit Beschimpfungen im Internet", klagt der Kölner Rechtsanwalt Dominik Eickemeier. "Ich hatte deswegen auf eine andere Entscheidung gehofft."

Der VI. Zivilsenat korrigierte mit seiner Entscheidung das Oberlandesgericht Stuttgart, das im vergangenen Jahr einen Auskunftsanspruch des Arztes bestätigt hatte. Denn das Telemediengesetz von 2007, das Internetdiensten die Möglichkeit der anonymen oder pseudonymen Nutzung vorschreibt, sieht Ausnahmen für die Strafverfolgung vor. Online-Portale müssen dann die Nutzerdaten einem ermittelnden Staatsanwalt übergeben. Eine juristische Handhabe gibt es auch bei Verstößen gegen das Urheberrecht - wenn etwa online geschützte Musikdateien getauscht werden. Dann kann ein Gericht die Herausgabe von Nutzerinformationen anordnen.

Häufig reiche es bei einem abträglichen Online-Kommentar aber nicht für eine Strafanzeige wegen Beleidigung oder übler Nachrede, erklärt Anwalt Eickemeier. Eine unwahre Tatsachenbehauptung könne aber durchaus eine Geschäftsschädigung bedeuten und einen Anspruch auf Schadenersatz rechtfertigen. Mit der BGH-Entscheidung werde nun "eine Tür geöffnet, damit unwahre Tatsachenbehauptungen und negative Meinungsäußerungen verstärkt verbreitet werden".

Gezielte Kommunikation besser als Gang zum Anwalt
Der Mainzer Sanego-Anwalt Jens Gmerek widerspricht: Er denke nicht, dass es jetzt vermehrt zu Pöbeleien im Internet kommen werde. Bei abträglichen Kommentaren in Bewertungsportalen sei die gezielte Kommunikation im Netz besser als der Gang zum Anwalt. "Die Anonymität ist keine Besonderheit im Internet - sie soll die Freiheit, die im wirklichen Leben existiert, auch dort herstellen, wo sämtliche Schritte nachvollzogen werden können."

Auch der Berliner Medienrechtsanwalt Johannes von Rüden begrüßt die Entscheidung als Stärkung der anonymen Meinungsäußerungsfreiheit im Internet: "Viele trauen sich nur unter dem Schutz der Anonymität, ihre Meinung öffentlich kundzutun und sich so an der öffentlichen Meinungsbildung zu beteiligen."

Bundesjustizminister Heiko Maas hat vor unfairen Online-Bewertungen im Schutz der Anonymität gewarnt. "Bewertungsportale dürfen nicht zum Pranger werden", erklärte der SPD-Politiker am Dienstag. Zwar seien die Bewertungsseiten für viele Verbraucher wichtig, auch wegen der anonymen Beschreibungen von Dienstleistungen. Doch Maas sieht die Betreiber in der Pflicht, abträgliche Bewertungen von Nutzern zu entfernen. "Verleumdungen müssen gelöscht werden. Wer andere beleidigt, muss strafrechtlich verfolgt werden", erklärte der Minister.

Freuen sich 'Foren-Trolle' über das Urteil?

Die Meinungsfreiheit hat Grenzen. Bei der mündlichen Verhandlung vor einem Monat betonte BGH-Anwalt Matthias Siegmann als Vertreter des Arztes, wer einen Online-Dienst nur dazu verwende, um falsche Tatsachen zu verbreiten, dürfe nicht anonym bleiben. "Wenn wir nicht im Internet wären, wäre der Anspruch völlig eindeutig."

Ähnlich kontrovers wie die Juristen diskutierten auch Internet-Nutzer über die Karlsruher Entscheidung. "Geil, BGH schützt anonymen Pöbler", twitterte der Berliner Piraten-Abgeordnete Christopher Lauer. Andere schrieben, das Urteile werde vor allem die "Trolle" freuen - so werden im Netz Leute genannt, die eine Diskussionsprozess mit destruktiven Beiträgen lahmlegen wollen.

Leicht gemacht hat es sich der BGH nicht. Nach der Verhandlung nahm sich der Senat vier Wochen Zeit - um nach den Worten des Vorsitzenden Richters Gregor Galke unter anderem zu prüfen, ob es sich bei der Gestaltung des Telemediengesetzes um ein Versehen des Gesetzgebers gehandelt habe. "Das war nicht der Fall", konstatierte Galke und zog daraus den Schluss: "Diese Entscheidung des Gesetzgebers ist zu respektieren."

Quelle: onlinekosten
 
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