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Hartz IV: EU Ausländer erhalten weiter ALG-II

TV Pirat

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15.05.2012

EU-Ausländer erhalten zunächst weiter Arbeitslosengeld II: Leistungsausschluss durch Jobcenter ist rechtswidrig

Der von Deutschland gegen das Europäische Fürsorgeabkommen (EFA) erklärte Vorbehalt ist rechtlich wirkungslos. Der Vorbehalt sollte nahezu alle in Deutschland lebenden EU-Ausländer von der Möglichkeit, Arbeitslosengeld II-Leistungen (Hartz IV) zu beziehen, ausschließen. Die hierzu erlassene Richtlinie der Bundesagentur für Arbeit ist rechtswidrig.

Dies stellten sowohl das Sozialgericht Berlin als auch das Sozialgericht Leipzig in aktuell getroffenen Entscheidungen klar, Sozialgericht Berlin Aktenzeichen S 96 AS 6145/12 ER und S 110 AS 28262/11 sowie Sozialgericht Leipzig, Aktenzeichen S 20 AS 852/12 ER.

Rechtsanwalt Dirk Feiertag, der Vertreter des Leipziger Klägers erklärt: „Die Leistungen der deutschen Jobcenter nicht mehr für arbeitssuchende Europäer zur Verfügung zu stellen, ist klar rechtswidrig. Nach den heute getroffenen Entscheidungen der Sozialgerichte wäre es konsequent, Anträge von EU-Ausländern wenigstens vorläufig weiter zu bewilligen. Die deutschen Jobcenter bewegen sich in diesem Punkt aber nicht. Ich rate daher allen Betroffenen, selbst Widerspruch und Klage gegen die Entscheidungen der Jobcenter einzulegen.“

Bisher regelte das Europäische Fürsorgeabkommen (EFA), welches auch von Deutschland unterzeichnet wurde, dass die Angehörigen der Mitgliedstaaten in dem jeweilig anderen Land Sozialleistungen in Anspruch nehmen können. Im Januar 2012 erklärte die Deutsche Bundesregierung vollkommen überraschend einen Vorbehalt gegen dieses Abkommen. Ziel war es mit Blick auf die europäische Wirtschaftskrise EU Ausländer von dem Bezug von ALG II-Leistungen auszuschließen. Damals zeigte sich selbst die Bundesagentur für Arbeit über das Vorgehen verwundert. Sie verzeichnete laut eigenen Angaben keine erhöhte Einwanderung in die deutschen Sozialsysteme.

Mit der Quasi-Abschaffung des Europäischen Fürsorgeabkommens hat die Bundesregierung die Axt an die Wurzel der Europäischen Integration gelegt. Wenn die Bundesregierung den erklärten Vorbehalt weiterhin aufrecht erhält, scheint es nur noch eine Frage der Zeit, bis auch andere europäische Staaten sich weigern, Sozialleistungen an im Ausland lebende Deutsche zu zahlen, so Rechtsanwalt Feiertag.

Dazu eine rechtliche Stellungnahme von Rechtsanwalt Rechtsanwalt Dirk Feiertag:
Die Deutschen Jobcenter verwehren seit kurzem fast allen EU-Ausländern, die sich in Deutschland zur Arbeitssuche aufhalten, SGB II-Leistungen und begründen dies mit dem in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II geregelten Leistungsausschluss für Ausländer. Hier heißt es: „Ausgenommen sind Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt, und ihre Familienangehörigen,“ Dieser Leistungsausschluss kann jedoch nicht auf in Deutschland lebende arbeitssuchende EU-Ausländer angewendet werden. Zum einen ist ein solcher Leistungsausschluss mit Europäischem Recht unvereinbar (hierzu unter 2.) und zum anderen wird die Regelung für Ausländer, deren Herkunftsstaaten dem Europäischen Fürsorgeabkommen (EFA) beigetreten sind, von diesem verdrängt.

Verdrängung des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II durch Art. 1 des Europäischen Fürsorgeabkommens (EFA)
Das Europäische Fürsorgeabkommen (EFA) wurde 1953 geschlossen. EFA-Vertragsstaaten sind mittlerweile: Belgien, Dänemark, Deutschland, Estland, Frankreich, Griechenland, Irland, Island, Italien, Luxemburg, Malta, Niederlande, Norwegen, Portugal, Schweden, Spanien, Vereinigtes Königreich sowie die Türkei.

Das Bundessozialgericht hat mit Urteil vom 19 Oktober 2010 (Az: B 14 AS 23/10) entschieden, dass der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II für Staatsangehörige von Vertragsstaaten des Europäischen Fürsorgeabkommens keine Anwendung findet. Zwar hat die Bundesrepublik Deutschland am 19 Dezember 2011 u. a. für Leistungen nach dem SGB II einen sogenannten „Vorbehalt“ gegen das Europäische Fürsorgeabgekommen erklärt mit dem Ziel, die Ausschlusstatbestände nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und 2 SGB II auch auf die Staatsangehörigen der Vertragsstaaten des EFA anzuwenden. Diese „Vorbehaltserklärung“ ändert jedoch derzeit nichts an der Anwendbarkeit des Art. 1 EFA auf Staatsangehörige der EFA-Vertragsstaaten.

Bei der erfolgten „Vorbehaltserklärung“ handelt es sich nicht um einen zulässigen Vorbehalt i.S.d. Art. 16 Buchst. b) EFA, da die Erklärung nachträglich erfolgte. Vorbehalte in völkerrechtlichen Verträgen schränken die Bereitschaft ein, eine noch nicht bestehende Verpflichtung zu übernehmen. Sie wirken jedoch nicht auf bestehende völkerrechtliche Verpflichtungen ein und können daher, sofern der Vertrag nicht ausdrücklich eine entsprechende Möglichkeit eröffnet, nicht „nachträglich" erklärt werden. Da es im EFA nach Art. 16 lit. b EFA nur eine Möglichkeit für die Einschränkung der Bereitschaft gibt, neue Armenfürsorgeleistungen dem Rechtsregime des EFA zu unterwerfen gibt, setzt die Zulässigkeit des Vorbehalts voraus, dass es sich bei der SGB II-Leistung zum Zeitpunkt der Vorbehaltserklärung um neue Fürsorgeleistungen handelt.

Hieran fehlt es aber vorliegend, da das EFA bereits Anwendung auf SGB II-Leistungen gefunden hat: Bis Ende 2011 waren die Leistungen nach dem SGB II zwar nicht im Anhang zum EFA aufgeführt. Dies war aber auch nicht notwendig, da die Aufnahme einer Leistung in den Anhang nicht konstitutiv sondern rein deklaratorisch ist. SGB II-Leistungen waren seit Inkrafttreten des SGB II Fürsorgeleistungen nach dem EFA. Dies wurde vom Bundessozialgericht in o.g. Entscheidung festgestellt und auch von den SGB-Leistungsträgern durch die Bewilligung Leistungen an Staatsangehörige der EFA-Vertragsstaaten umgesetzt.

Da das EFA aber bereits Anwendung auf die SGB-II-Leistungen gefunden hatte, waren diese Leistungen keine „neuen“ Armenfürsorgeleistungen mehr. Der Vorbehalt wurde erst nach bereits erfolgter Anwendung und damit nachträglich erklärt. Diese Möglichkeit ist aber im EFA an keiner Stelle, insbesondere auch nicht in Art. 16 Buchst. b) EFA, vorgesehen und deshalb völkerrechtlich unzulässig. Zudem können SGB II Leistungen schon per se nicht als „neue“ Armenfürsorgeleistungen qualifiziert werden, denn die Leistungen des SGB II sind aus einer Zusammenführung der Sozialhilfeleistungen des SGB XII und der Arbeitslosehilfe entsprungen. Es stellt mithin nur eine Transformation dieser alten Armenfürsorgeleistungen dar. Die Arbeitslosenhilfe fiel mit Einführung des SGB II komplett weg und der persönliche Anwendungsbereich der Sozialhilfe nach dem SGB XII wurde stark eingeschränkt. Selbst wenn man den erklärten „Vorbehalt“ als eine Teilkündigung des Abkommens nach Art. 24 EFA auslegt, können die Leistungen des SGB II jedenfalls zur Zeit noch nicht ausgeschlossen werden. Der Vorbehalt wurde am 19.12.2011 von der Bundesregierung erklärt. Dies hätte frühestens eine Kündigung zum 11 Dezember 2012 zur Folge, da das am 11 Dezember 1953 geschlossene Europäische Fürsorgeabkommen nach Art. 24 nur mit einer sechsmonatigen Kündigungsfrist zum Ablauf einer sich sonst jeweils um ein Jahr verlängernden Vertragslaufzeit gekündigt werden kann. Die Teilkündigung wäre daher frühestens zum 11 Dezember 2012 wirksam.

Ob die formalen Voraussetzungen einer solchen Kündigungserklärung durch den erklärten Vorbehalt erfüllt wurden, erscheint jedoch mehr als fraglich. Zudem können die europapolitischen Konsequenzen einer solchen Kündigung können gar nicht überschätzt werden. Es ist zu befürchten, dass die anderen europäischen Mitgliedstaaten das Abkommen in diesem Fall ebenfalls aufkündigen werden. Europa zerfällt ein Stück mehr, falls europäische Staatsbürger, die im Europäischen Ausland leben, einen Großteil der dortigen Sozialleistungen nicht mehr in Anspruch nehmen können.

Verstoß des Leistungsausschlusses für EU-Ausländer gegen Europäisches Recht
Unabhängig von der Anwendbarkeit des Art. 1 EFA verstößt der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II auch gegen europäisches Gemeinschaftsrecht. Er ist bereits aus diesem Grund auf arbeitssuchende EU-Bürger nicht anwendbar.

Die Vorschrift verstößt gegen die Verordnung (EG) 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, die nach ihrem Art. 91 am Tag des Inkrafttretens der Durchführungsverordnung und damit am 1. Mai 2010 (vgl. Art. 97 VO (EG) 987/2009 vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der VO (EG) 883/2004) Gültigkeit erlangt hat und an die Stelle der VO (EWG) 1408/71 getreten ist.

Nach Art. 4 VO (EG) 883/2004 haben Personen, für die diese Verordnung gilt, grundsätzlich die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates wie die Staatsangehörigen dieses Staates. Nach Art. 3 Abs. 3 gilt diese Verordnung auch für die besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen. Zu diesen beitragsunabhängigen Geldleistungen gehören nach Anhang X (i.d.F. der VO (EG) 988/2009 v. 16. September 2009 zur Änderung der VO (EG) 883/2004 und zur Festlegung des Inhalts ihrer Anhänge) auch die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts der Grundsicherung für Arbeitsuchende.

In Deutschland arbeitssuchende EU-Bürger haben folglich einen Gleichbehandlungsanspruch nach Art. 3 VO (EG) 883/2004, der nicht nur ein Diskriminierungsverbot statuiert, sondern gerade auch Inländergleichbehandlung gewährleistet. Jede Form von Sonderregeln oder besondere Zugangsvoraussetzungen für die Leistungen nach dem SGB II sind unzulässig.

3. Durchsetzung der Ansprüche
Den Betroffenen ist zu raten gegen erhaltene Ablehnungsbescheide innerhalb der regulären Frist von einem Monat Widerspruch einzulegen und gegen die darauf zu erwartenden Widerspruchsbescheide binnen Monatsfrist Klage vor dem jeweiligen Sozialgericht einzulegen. Um bis zu einer endgültigen Entscheidung in diesem Hauptsacheverfahren die Existenz zu sichern, sollte bereits bei Erhalt des Ablehnungsbescheids zusätzlich ein einstweiliges Rechtsschutzverfahren vor dem Sozialgericht angestrengt werden. Hiermit kann das betreffende Jobcenter innerhalb weniger Wochen gezwungen werden, die streitigen SGB II-Leistungen vorläufig zu gewähren. Wichtig für die Betroffenen ist, dass sie mit Ablauf ihrer Bewilligungsbescheide (also alle sechs Monate) auch ohne Aufforderung und unabhängig davon, ob über den vorherigen Bewilligungszeitraum schon entschieden wurde, einen neuen ALG II-Antrag stellen.

Quelle: gegen-hartz
 
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